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УДК 821.112.2
A. Meier
SCHLIESSLICH WILL MAN JA KUNST SCHAFFEN Daniel Kehlmanns humoristische Poetik
Повествование Даниэля Кельмана часто понимается как «ироничное» и тем самым ставится в один ряд с произведениями, написанными в традиции романтизма в духе Фридриха Шлегеля. Правильнее было бы все же говорить о «юморе» в контексте философии пессимизма Шопенгауэра, характерном для поэтического реализма XIX века. Здесь важно не культивирование тоски, возникающей из-за осознания контраста между идеалом и реальностью, а веселое расположение духа (некое утешение) перед лицом трагической действительности.
Роман Д. Кельмана «Измеряя мир», получивший мировое признание, следует рассматривать не как надежный исторический документ, а как свободную игру с биографическими фактами Александра фон Гумбольдта и Карла Фридриха Гаусса. Д. Кельман ориентируется прежде всего на фантастику «магического реализма», характерного для южноамериканских писателей XX века (например, Габриэля Гарсиа Маркеса).
Daniel Kehlmann's oeuvre is often interpreted as 'ironic' and thus put on a par with works following Friedrich Schlegel's tradition of Romanticism. It would be more accurate to speak of 'humour' in the context of Schopenhauer's philosophy of pessimism characteristic of the 19th century poetic realism. The central element is not nurturing ennui resulting from awareness of the contrast between the ideal and reality, but rather cheerful disposition (consolation) in the face of reality.
Kehlmann's world-famous novel Measuring the World should be considered not as a veracious historical document, but rather as a free play with the biographies of Alexander von Humboldt and Karl Friedrich Gauss. Kehlmann focuses on the 'magic realism' characteristic of the 20th century South American authors (for instance, Gabriel Garcia Marquez).
Ключевые слова: современная литература, поэтика, ирония, реализм.
Key word: contemporary literature, poetics, irony, realism.
© Meier А., 2015
Вестник Балтийского федерального университета им. И. Канта. 2015. Вып. 2. С. 70 — 77.
Die Frage nach der Wahrheit ist eine außerästhetische Frage.
Requiem für einen Hund Literatur der Gegenwart — Poetik — Ironie — Realismus
Daniel Kehlmanns Dissertationsprojekt über Immanuel Kants Begriff des Erhabenen ist nicht zum Abschluss gekommen. Auch unpromoviert zeigt er sich trotzdem gern als poetadoctus, der Philosophie und Literaturwissenschaft durchaus studiert hat und diese intellektuelle Kompetenz auch in der Dichtung zur Geltung bringen will. Seine erzählerischen Werke begleitet Kehlmann jedenfalls großzügig mit ästhetisch-poetologisch reflektierten Interviews, Reden sowie Essays und nimmt der Literaturwissenschaft damit ein Gutteil ihrer Arbeit ab; mit vollem Recht ist der überdies auch als Literaturkritiker aktive Starautor lange vor dem Welterfolg mit Die Vermessung der Welt schon als Poetik-Dozent in Mainz aufgetreten (2001) und hat seitdem im In- und Ausland mehrfach Gast-Professuren innegehabt (bis dato zuletzt im Sommersemester 2014 an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt am Main).
Über seine akademische Grundbildung hinaus darf Kehlmann daher fraglos von sich behaupten, «verdammt belesen» [Vgl. 1, S. 69] zu sein; er schreibt bzw. spricht daher geradezu unvermeidlich immer auf der MetaEbene literarisch-literaturgeschichtlicher Versiertheit, die der Prosa nolens volens eine ironische Note verleiht. Zu den Leitkategorien von Kehlmanns dichtungstheoretischen Überlegungen zählt folgerichtig die Ironie, die freilich in zwangsläufiger Selbstreferenzialität zugleich den Argumentations-gestus seiner poetologischen Äußerungen1 prägt und dafür sorgt, dass vielleicht nicht alle seine Aussagen in gleichem Bierernst beim Wort zu nehmen sind.
Glauben schenken darf man ihm trotzdem, wenn Kehlmann z. B. die «Grundironie»von Die Vermessung der Welt aus dem «Zusammenprall einer Form mit einem ihr völlig heterogenen Inhalt» [9, S. 165] erklärt, und gewiss darf als seine eigene Überzeugung veranschlagt werden, dass der <moderne Roman> nicht allein «das Medium des Privaten», sondern «noch mehr das Medium der Ironie» [5, S. 139] sei. In dieser Hinsicht wäre zumindest die Geschichte um Alexander von Humboldt und Carl Friedrich in der Tat <modern>, weil ironisch, da der Roman «einander zuwiderlaufende An- und Absichten, Wünsche, Bestrebungen, Weltvorstellungen mit gleicher Sympathie und gleicher Distanz schildert, so daß jede von ihnen ganz von selbst, allein durch das Gegenüberstellen, bis in ihr Innerstes relativiert wird» [5, S. 139].
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1 Robert Menasse hat darauf hingewiesen, dass Daniel Kehlmanns Essays selbst ironisch angelegt sind [Vgl. 12, S. 32f.] - Ein gutes Beispiel hierfür ist das Diktum, Romanschreiben sei «das Ergründen der Widersprüchlichkeit des Menschen, also seines entfremdeten Daseins», worin Kehlmann in forcierter Gelehrigkeit eine gedankliche Vorlage seines Gesprächspartners aufnimmt, aber nicht weiter fortführt [Vgl. 6,
S. 10].
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Diese Betonung der Ironie passt zur respektvoll-distanzierten Skepsis, mit der in Die Vermessung der Welt «die Geschichte und die Weltanschauung der deutschen Klassik gewissermaßen mit den Augen südamerikanischer Erzähler» betrachtet werden, woraus «eine satirische, zumindest komödiantische Ansicht der Klassik, eine komödiantisch verehrungsvolle» [6, S. 76], hervorgehen soll. Mag Kehlmann beim Stichwort <Klassik> auch weniger an den Groß-Ironiker Goethe als an den ihm missliebigen Wilhelm von Humboldt denken [Vgl. 6, S. 63] und überdies der Klassik-Begeisterung älterer Zeit unnötig großes Gewicht beimessen, folgt er doch einem um 1800 geläufigen Konzept [Vgl. 10], wenn er den Humor gegen das Pathos ausspielt: «Ich denke, das wahre Andere des Humors ist das Pathos. Humor und Pathos schließen einander aus» [6, S. 57]. Das ist — wissentlich oder nicht — ein genaues Echo auf ein im späten 18. Jahrhundert gerade deutschsprachigen Autoren wohlbekanntes Prinzip. Shaft es burys Idee eines testbyridicule setzt die kalkulierte raillery als Prüfstein ein, um wahre Würde von falscher zu unterscheiden: «The main point is to know always true gravity from the false... And how can this be done unless by applying the ridicule to see whether it will bear?» [15, S. 8].
Auf einem durch und durch ironischen Konzept fußt auch Kehlmanns Faible für die Literatur Südamerikas während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie er sagt, relativiert deren <magischer Realismus>beständig die Glaubwürdigkeit des Erzählten, weil die Freiheit der Fantasie umso deutlicher zu Tage tritt, je mehr die Realitätsgewissheit der Leser unterhöhlt wird. In vergleichbarer Weise arbeitet Kehlmann selbst planvoll an der Grenze zwischen Wirklichkeit und Erfindung: «Geschichtliches geht bei mir ständig in Fiktionales über» [6, S. 66]. Seine Prosa verhandelt daher vielfach das Problem der Plausibilität, indem er etwa «historische Tatsachen nicht verwenden» kann, «weil sie zwar wahr, aber nicht plausibel waren» [6, S. 69]2, oder in der Novelle Der fernste Ort die gesamte Handlung um einen scheinbar glimpflich verlaufenen Unfall beim Baden unter einen derart entschiedenen Fiktionalitätsvorbehalt stellt, dass ihn gerade die professionellen Leser als realistische Mimesis missverstanden haben3.
Kehlmann hat in diesem Zusammenhang mehrfach darauf hingewiesen, dass es ihm in seiner Dichtung «immer um das Spiel mit Wirklichkeit, das Brechen von Wirklichkeit» [9, S. 139] geht. Nach eigener Aussage praktiziert er insofern einen gebrochenen Realismus> (V gl. 9, S. 145], der die empirische Lebenswelt nur als Material nimmt, um sie in der literarischen Fiktion auf alternative Art zu entfalten: «Ein Erzähler operiert mit Wirklichkeiten. Aus dem Wunsch heraus, die vorhandene nach seiner Vorstellung zu korrigieren, erfindet er eine zweite, private, die in einigen offensichtlichen Punkten und vielen gut versteckten von jener ersten abweicht» [4, S. 10]. Die kon-
2 Vgl. auch: «Nur die Wirklichkeit kann sich leisten, sehr unwahrscheinlich zu sein. Die Fiktion ist gezwungen, glaubhaft zu bleiben, dagegen kann man nichts machen» [9, S. 163].
3 «Kurz, es ist von fast schon aufdringlicher Eindeutigkeit, daß er eigentlich untergegangen ist und die ganze Geschichte sich in seinem Kopf, in den wenigen Momenten der Agonie abspielt» [9, S. 143].
kreten Techniken dieser «widerrealistischen Wendung» [9, S. 143], die sogar noch die gezielte Irreführung der Leser durch epitextuelle Fehlinformationen einschließt4, bleiben dabei immer offensichtlich bzw. erkennbar und benennbar, sofern man nur genau genug liest. In Die Vermessung der Welt ist es z. B. entscheidend, dass man das ebenso anachronistische wie überhaupt fantastische Motiv zur Kenntnis nimmt, dass Humboldt und Bonpland auf dem Amazonas ein UFO begegnet: «Eine Zeitlang folgte ihnen eine metallene Scheibe, flog vor und dann wieder hinter ihnen, glitt lautlos durch den Himmel, verschwand, tauchte wieder auf, kam für Minuten so nahe, daß Humboldt mit dem Fernrohr die gekrümmte Spiegelung des Flusses, ihres Bootes und seiner selbst auf ihrer gleißenden Oberfläche wahrnehmen konnte. Dann raste sie davon und kam nie wieder» [3, S. 135].
Eine noch deutlichere Distanzierungsstrategie als solche offensichtlich erfundenen Einsprengsel in den ansonsten historisch vorgegebenen bzw. dokumentarisch belegten Gang der Erzählung ist in der auffälligen Verwendung der indirekten Rede zu sehen. Sie verweist geradezu penetrant auf die Präsenz eines Erzählers, der gewöhnlich — dem epischen Präteritum zum Trotz — über dem Handlungsverlauf allzu leicht vergessen wird, und deklariert das Geschehen somit zu einer Wiedergabe bloß aus zweiter Hand. Dieses auf den ersten Blick ostentativ neutrale Verfahren wirkt umso ironischer, weil es auf spielerische Weise Distanz schafft: «Was entsteht denn, wenn man einander zuwiderlaufende An- und Absichten, Wünsche, Bestrebungen, Weltvorstellungen mit gleicher Sympathie und gleicher Distanz schildert, so daß jede von ihnen ganz von selbst, allein durch das Gegenüberstellen, bis in ihr Innerstes relativiert wird? Ironie» [5, S. 139].
Diese konstruierte «Pseudosachlichkeit des Tons» bringt einen Verfremdungseffekt mit sich, der zumindest das Erzählen der Vermessung der Welt so klingen lässt, «als wäre ein seriöser Historiker plötzlich wahnsinnig geworden» [9, S. 165]. Mehr noch verleiht dieses <unnatürlich> wirkende Erzählen dem Text eine unübersehbare Künstlichkeit, die seinen vordergründigen Realismus unterläuft und ein gewissermaßen doppeltes Lesen verlangt: unvermittelt im Interesse für die histoire und zugleich reflektiert in der Sensibi-lisierung für die Artifizialität des discours und damit für den ästhetischen Charakter des Textes. Das ist der Punkt, an dem Kehlmann — wohl mit Recht — für sich in Anspruch nimmt, über den Standard des <guten>, weil literarisch gekonnten Romans der Moderne seit Gustave Flauberts Madame Bovary hinausgelangt zu sein: «Mit Flaubert setzte sich das bis heute bestimmende Stil ideal der modernen Erzählprosa durch, die impeccabilite, die Makellosigkeit: das Ideal eines Textes, in welchem kein Wort verändert werden könnte, ohne das Werk in seiner Gesamtheit zu beschädigen» [5, S. 135].
Für den Kehlmann der Göttinger Poetik-Vorlesungen 2006 steht diese stilistische, d. h. textinterne Vollkommenheit nicht mehr im Vordergrund. Seines Erachtens muss die künstlerische Leistung vielmehr über diesen au-
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4 «Gemeinsam mit meinem Lektor schrieb ich also in die Verlagsvorschau, daß das Buch von einem jungen Mann handle, der einen Unfall übersteht und ein neues Leben beginnt. Ein Aussteigerthriller also» [9, S. 143].
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tonomieästhetischen Aspekt hinausgehen und eine wirklichkeitsbezogene Relevanz entfalten: «Ich hatte gemeint, gute Literatur müsse bloß formal perfekt sein. Sie müsse bloß aus möglichst brillanten, tänzelnd überraschenden Sätzen bestehen. Aber natürlich reicht das nicht. Es muß immer... nun ja, ein Element existentieller Wahrheit geben, eine Berührung mit den Grundtatsachen unseres Daseins. Sie muß etwas über uns als Menschen sagen und über mich als den Schreibenden» [9, S. 165]. Kehlmann wählt zu diesem Zweck ein dezidiert <unmodernes>, ja konservatives und bequemes Schreibverfahren, das scheinbar an den Konventionen des mimetischen Erzählens festhält und weder die z. B. in Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz unter dem Einfluss des Kubismus praktizierte Negation der erzählerischen Zentralperspektive fortführt noch wie James Joyce eine dadaistische Zerlegung der kommunikativen Sprache praktiziert5. Kehlmann lässt sich in dieser Hinsicht besser mit Franz Kafka vergleichen, der eine grammatisch ähnlich tadellose Prosa pflegt und gerade aus der Diskrepanz von sprachlicher Korrektheit und motivischem Irrwitz komödiantische Effekte ableitet, die ihn malgrelui doch den eigentlich mit anderen, destriktiveren Mitteln arbeitenden Expressionisten zur Seite stellt6. Kehlmann verfährt dabei allerdings weit zurückhaltender als Kafka und legt motivisch wie stilistisch höchsten Wert auf Diskretion, verzichtet also auf die drastische Fantastik der Verwandlung ebenso wie auf die groteske Überdeterminiertheit der Prosa etwa in Gib's auf.
Von der Postmoderne hat sich Daniel Kehlmann zumindest in Hinsicht auf Die Vermessung der Welt ausdrücklich distanziert7. Es gibt auch in der Tat keinen Anlass, ihn in eine Reihe mit Autoren wie Umberto Eco oder Patrick Süskind, Thomas Pynchon oder Christoph Ransmayr zu stellen, weil namentlich das primäre Kriterium des eklektizistischen Zitierens fehlt, auch wenn sich gelegentlich literarische Anspielungen finden8 oder dem Humboldt des Romans eine bedenklich selbstreferenzielle Bemerkung unter-
5 «Ich fand Literatur immer am faszinierendsten, wenn sie nicht die Regeln der Syntax bricht, sondern die der Wirklichkeit» [9, S. 137].
6 Kehlmannerkenntnamentlich in Kafka einen wichtigen Vorläufer der Erzähler Südamerikas und sieht in ihm insofern auch einen zentralen Bezugspunkt des eigenen Schreibens: «Als die Möglichkeiten des realistischen Gesellschaftspanoramas ausgeschöpft schienen, eröffneten Kafka und in seiner Nachfolge die phantastischen Realisten Lateinamerikas dem Erzählen den ungeheuren Bereich des Traumes. Vielleicht war das die größte literarische Revolution seit Flaubert, und vielleicht dauert sie, aber das wird erst die Zukunft beurteilen, immer noch an» [5, S. 142].
7 «Der Roman sollte von mir sein und auf keinen Fall ein postmodernes Gemisch, in das auch Texte anderer einmontiert sind» [9, S. 159]. - Weniger aussagekräftig, weil offensichtlich selbstironisch ist eine Bemerkung in der Göttinger Poetikvorlesung: «Bitte keine postmodernen Spiele, das ist aus der Mode gekommen» [9, S. 127].
8 Vgl. z. B. die Anspielung auf Thomas Manns Der Tod in Venedig (kurz vor seinem Tod gelingen Gustav von Aschenbach noch 'anderthalb Seiten erlesener Prosa'): «Als sie oben waren, brachte Humboldt mit einer Konzentration, die bloß nachließ, wenn er wieder nach Moskitos schlagen mußte, ein Stück perfekter Prosa über den Anblick der Stromschnellen, der sich über den Fluß türmenden Regenbogen und des feuchten Silberglanzes der Weite zu Papier» [3, S. 120; Hervorhebung A.M.].
läuft9. Wäre nun die Ironie tatsächlich Kehlmanns «Markenzeichen», wie der Gesprächspartner (und Chefredakteur von Sinn und Form) Sebastian Kleinschmidt im Requiem für einen Hund behauptet [6, S. 9], dann würde sich die Frage nach dem romantischen Erbe in Kehlmanns Schreiben stellen, da Ironie als die Zentralkategorie in der Poetik des Kreises um Friedrich Schlegel gelten muss. Im Unterschied zur rhetorischen Ironie klassischer Observanz, die das Gegenteil des Gemeinten sagt und trotzdem sicher sein darf, richtig verstanden zu werden, beansprucht die romantischen Ironie weit mehr. Sie arbeitet mit dem Instrument der «permanenten Parekbase»10, d. h. der beständigen Selbstreflexion, die Distanz voraussetzt und alles relativiert [Vgl. 11, S. 147—154], um der paradoxen Notwendigkeit des 53. Athenäumsfragments zu genügen: «Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müssen, beides zu verbinden» [13, S. 173].
Soweit geht Kehlmann offenbar nicht, wenn er in Beerholms Vorstellung die vermeintliche Realistik der Geschichte eines Zauberkünstlers durchweg dementiert oder in F die in ihrer Symmetrie ersichtlich konstruierte Handlung um drei Brüder auf Bücher ihres Vaters bezieht. Das sind literarisch fingerfertige Spiele, die den Texten eben nicht als 'Ironie der Ironie' den Status der Transzendentalpoesie im Sinne von Friedrich Schlegels 253. Athenäumsfragment verleihen; erst recht will das keine 'tragische Ironie' ausbilden, mit der Karl Wilhelm Ferdinand Solger 1815 den Künstler in einem «alles vernichtenden Blick» jedes Ideal sofort wieder vernichten lässt [16, S. 387]. Zwar heißt es in der Dankesrede zur Verleihung des Kleistpreises 2006: «Romantik, das ist nicht einfach Liebe zu Natur, Mittelalter und Gespenstergeschichten, sondern die Entdeckung all dessen in der Kunst, während man gleichzeitig weiß, daß es im Leben verloren ist» [8, S. 69]. Damit ist jedoch kein scharfer Widerspruch von Ideal und Realität gemeint, der im Modus frühromantischer Sehnsucht bewusst würde, sondern weit mehr ein einigermaßen schmerzfreies Wissen, dass man sich von Idealvorstellungen aus gutem Grund verabschiedet hat.
Mit mehr Recht als von Ironie sollte man daher von <Humor> sprechen. Kehlmanns Laudatio zur Verleihung des Kleistpreises an Max Goldt liefert die entsprechende Definition: «Humor, wenn sein Resultat Kunst sein soll, lebt von plötzlicher Erhellung, von einer blitzartig sichtbar werdenden Inkongruenz zwischen der chaotischen Welt und jenem Begriff, auf den die Vernunft sie zu bringen unternimmt: Der ordnende Verstand funktioniert und versagt im selben Moment, nichts ist lustig ohne ein noch so kurzes Aufflackern echter Erkenntnis. In einer perfekten Welt gäbe es nichts zu bemängeln, aber auch nichts zu lachen» [7, S. 48].
Diese Erklärung des Humors verdankt sich offensichtlich nicht Jean Paul (d. i. Johann Paul Friedrich Richter), der mit den einschlägigen Kapiteln seiner Vorschule der Ästhetik (zuerst 1804, überarbeitet 1813) zweifellos der
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9 «Er habe den Eindruck, sagte Humboldt, hier werde ununterbrochen erzählt. Wozu dieses ständige Herleiern erfundener Lebensläufe, in denen noch nicht einmal eine Lehre stecke?» [3, S. 114].
10 «Die Ironie ist eine permanente Parekbase» [13, S. 85].
wichtigste Humor-Theoretiker der deutschen Literatur ist. Vielmehr deckt sie sich im Kern mit Arthur Schopenhauers <Theorie des Lächerlichem bzw. des Komischen, die Kehlmann im Gespräch mit Sebastian Kleinschmidt auch in der Tat als «sehr hilfreich» [6, S. 47] bezeichnet hat. In Jean Pauls weit radikalerer, weil frühromantisch geprägter Auffassung gilt der Humor «als das umgekehrte Erhabene», das «nicht das Einzelne, sondern das Endliche durch den Kontrast mit der Idee» vernichtet [2, S. 125]. Bei Schopenhauer heißt es demgegenüber in bewusster Kritik an Jean Paul: «Das Umgekehrte der Ironie wäre demnach der hinter den Scherz versteckte Ernst, und dies ist der Humor. Man könnte ihn den doppelten Kontrapunkt der Ironie nennen <...> Denn näher betrachtet, beruht der Humor auf einer subjektiven, aber ernsten und erhabenen Stimmung, welche unwillkürlich in Konflikt gerät mit einer ihr sehr heterogenen, gemeinen Außenwelt» [14, S. 118]. Wenn nun weniger die Ironie als der Humor Kehlmanns Schreiben charakterisiert, dann heißt das in letzter Konsequenz, dass er in der literarischen Tradition nicht der Romantik, sondern des <Realismus> im Sinne etwa eines Gottfried Keller steht, dem es bei aller Übereinstimmung des Erzählten mit der Lebenswelt immer um die Freiheit des Erzählens gegangen ist.
Allzu streng braucht die ideengeschichtliche Ableitung von Kehlmanns Humor-Begriff aus Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung (zuerst 1819, überarbeitet 1844) freilich nicht genommen zu werden. Sie ist nirgendwo systematisch ausgearbeitet, bleibt gewissermaßen Aperçu und geht vielleicht ohnehin bloß auf die frühe Schopenhauer-Lektüre eines Siebzehnjährigen zurück [Vgl. 6, S. 110]. Dennoch spielt Schopenhauer eine nicht zu vernachlässigende Rolle in Kehlmanns Weltverständnis, sofern man seiner Replik auf Sebastian Kleinschmidts Frage, ob Schopenhauers Pessimismus <abgefärbt> habe, trauen darf: «Doch, durchaus. Die Weltsicht meiner Bücher ist ziemlich pessimistisch. Überall Mißverständnisse und gescheiterte Bemühungen. Aber Schopenhauer lesen bedrückt ja nicht, im Gegenteil, es macht gute Laune. Es gibt einen Pessimismus des Temperaments und einen Pessimismus der Meinungen. Mein Temperament neigt zur Fröhlichkeit, meine Meinungen tendieren zum Pessimismus» [6, S. 110f.].
Als Humor, der «dem eigentlichen Sprechen» angehört11, ist das 'komödiantische Moment' [6, S. 62] in Kehlmanns Romanen allerdings nicht von Anfang an dominant gewesen: «Ich hatte das Gefühl, daß das nicht in die Bücher gehört, schließlich will man ja Kunst schaffen. Man möchte poetisch sein, und man fürchtet, platt zu werden, sobald man mit Komik arbeitet» [6, S. 62]. Demgegenüber dominiert seit Die Vermessung der Welt entschieden der «humoristische Blick, und der erfaßt dieses Nebeneinander von Größe und Schieflage. So sieht die Komödie auf die Welt» [6, S. 63]. Weil diese Komödie immer eine sehr mangelhafte Welt wahrnimmt, ist sie umso wichtiger als erheiternder Trost über das, was nicht zu ändern ist. Humoristische Kunst gehört insofern unverzichtbar zur Diätetik menschlicher Kultur und darf nicht fehlen, will man sich nicht ebenso in die gefährliche Nähe der Lächerlichkeit begeben, wie das Kehlmanns Gauß und Humboldt zumindest gelegentlich tun: «ihr Manko ist, daß sie in einer Welt leben, in der Kunst
11 Dieser These Sebastian Kleinschmidts stimmt Kehlmann ausdrücklich zu [Vgl. 6, S. 61].
keine Rolle spielt. Das ist das eigentlich Inhumane an ihnen. Und dem setze ich, auch formal, Südamerika entgegen, also das Primat des scheinbar unstrukturierten, sprudelnden Erzählens» [9, S. 164f.].
Literaturverzeichnis
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Об авторе
Альберт Майер — проф., Кильский университет имени Кристиана Альбрехта, Германия.
E-mail: ameier@litwiss-ndl.uni-kiel.de
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Dr. Albert Meier, Prof., Christian-Albrechts-University of Kiel, Germany. E-mail: ameier@litwiss-ndl.uni-kiel.de