Section 4. Political culture and ideology
Heiko Ital,
Hankuk University of Foreign Studies, Ass. Professor in the German Department of Interpretation and Translation,
E-mail: [email protected]
Ökonomische Imperialismustheorien des 20. Jahrhunderts
This article was supported by Hankuk University of Foreign Studies Research Fund of 2016
Abstrakt: In diesem Artikel werden verschiedene ökonomische Imperialismustheorien des 20. Jahrhunderts aufgezeigt. Die Betrachtung der einzelnen Imperialismustheorien zeigt, dass sich keine umfassende Theorie bilden lässt, da eine Interpretation des Imperialismus immer vom zeitgeschichtlichen Umfeld und der Intention ihres Verfassers abhängig ist.
Stichwörter:: ökonomische Imperialismustheorien, 20. Jahrhundert, Europa, politisches Denken.
Karl Marx gibt an diese vom Profit nur soviel ab, wie zum
Auch, wenn Karl Marx selbst keine Imperialis- Existenzerhalt notwendig ist. Marx vertrat die An-
mustheorie entwickelt hat, so legte er mit seiner Lehre doch den Grundstein für die weiterführenden Theorien von Hilferding, Lenin und Rosa Luxemburg, auf die an anderer Stelle genauer eingegangen werden wird. Bis heute gilt Marx' Werk in weiten Kreisen als Basis für die Erklärung von Imperialismus, sozialer Revolution und internationalem Krieg. Marx sieht die Weltgeschichte als die Geschichte des Klassenkampfes zwischen der herrschenden Klasse und deren Gegnern, aus dem heraus neue wirtschaftliche, politische und soziale Systeme entstehen [1]. Politische Systeme werden von der Klasse kontrolliert, die auch die Wirtschaft beherrscht. Vor der Entstehung des Kapitalismus war Landbesitz die Grundlage für Macht. Mit der industriellen Revolution wurden die herrschenden Landbesitzer von der neuen Klasse der Bourgeoisie aus ihrer Hegemoni-alstellung verdrängt. Die Bourgeoisie konzentrierte Arbeitskräfte in den Städten, womit nach Marx gleichzeitig der Grundstock für den Niedergang des Kapitalismus gelegt wurde, da diese neu entstandene Arbeiterklasse zwar mit vielen Pflichten, jedoch mit wenig Rechten ausgestattet wurde.
Die besitzende Klasse der Bourgeoisie produziert nichts selbständig sondern lebt von der Arbeitskraft der produzierenden Arbeiterklasse und
sicht, dass aus diesem Unrechtszustand zwingend der Klassenkampf zwischen ausbeutender und ausgebeuteter Klasse resultiert, dem sich schließlich der Sieg der Arbeiterklasse und damit die Diktatur des Proletariats anschließt.
John A. Hobson
Der Engländer John A. Hobson legte 1902 als erster eine umfassende ökonomische Imperialismustheorie vor. Seiner Meinung nach entstand der moderne Imperialismus primär aus der Fehlverteilung des Sozialproduktes innerhalb des kapitalistischen Staates. Nichtwirtschaftlichen (politischen, militärischen, psychologischen und religiösen) Faktoren wies er in Bezug auf die imperialistische Expansion der Industrieländer eine untergeordnete Rolle zu.
Die Fehlverteilung des Sozialproduktes führte Hobson zur Unterkonsumtionstheorie [2]: Bedingt durch zu niedrige Arbeitslöhne sei die Bevölkerungsmehrheit nicht in der Lage, die Wirtschaftsprodukte ihres Landes in vollem Ausmaß zu verbrauchen, weshalb es zu Überproduktion und Kapitalüberschuss komme. Dieser Über-schuss, der sich in den Händen einer zahlenmäßig geringen Schicht an Kapitaleignern befände, würde der Gesellschaft durch Kapitalexport entzogen. Im Zuge der verstärkten Bemühungen im Außenhan-
del komme es zur Mitwanderung von Händlern, Ingenieuren, Mechanikern, Unternehmern und Managern, die sich in neu erschlossenen Territorien niederließen. Aufgrund von Konflikten mit der eingeborenen Bevölkerung forderten sie von ihren Heimatnationen Unterstützung in Form von militärischer Intervention.
Hobson versucht anhand von Statistiken nachzuweisen, dass der daraus resultierende Einsatz militärischer Mittel zwar seinerseits bestimmte Wirtschaftszweige wie die Textil-, Werkzeug- oder Schiffbauindustrie ebenso fördere wie das Bankwesen; da beide sich jedoch in der Hand weniger Privatunternehmer befänden, entständen dem Staat ganz erhebliche Kosten, die in keinem Verhältnis zum Gewinn für das Gemeinwesen stünden.
„Imperialismus ist das Bestreben der großen Industriekapitäne, den Kanal für das Abfließen ihres überschüssigen Reichtums dadurch zu verbreitern, dass sie für Waren und Kapitalien, die sie zu Hause nicht absetzen oder anlegen können, Märkte und Anlagemöglichkeiten im Ausland suchen" [2]. Diese Einschätzung machte Hobson jedoch nicht zum Antikapitalisten, er glaubte vielmehr, der Imperialismus könne innerhalb des Kapitalismus unterbunden werden [2]. Durch eine gerechtere Verteilung des erwirtschafteten Profites im Inland müsse der Konsum an die Produktion angeglichen werden, um der Wirtschaft die Grundlage ihres Expansionsbestrebens zu entziehen.
Im Gegensatz zu Lenin sah Hobson in der außenwirtschaftlichen Expansion der Industriestaaten keineswegs den Grund für internationale Kriege. Jede Form von Krieg schade einem Staat bzw. einer Gesellschaft. Einzig die Kapitalanleger, die die breite Masse für die Durchsetzung ihrer Interessen benutzten, profitierten aus militärischen Auseinandersetzungen. Hobsons Imperialismustheorie bildete die Basis sowohl für nationalökonomische (Schumpeter, Keynes) als auch für marxistisch — leninistische Veröffentlichungen der Nachzeit (Lenin, Luxemburg). Kritisch betrachtet lässt sie sich jedoch nicht mehr aufrechterhalten, da „die von Hobson behauptete direkte Korrelation zwischen Kapitalexport und Kolonialerwerb statistisch nicht haltbar ist (...)" [3]. Des weiteren vernachlässigte Hobson nichtwirtschaftliche Faktoren des Imperia-
lismus. Er fügte seiner Theorie zwar eine sozialpsychologische Komponente bei, doch fehlt in seiner Beurteilung der machtpolitische Aspekt ebenso wie die Diskussion um eine mögliche Absorbtionsfunk-tion des Imperialismus in Bezug auf innenpolitische Konflikte.
Rudolf Hilferding
Rudolf Hilferding veröffentlichte 1910 als erster eine umfassende marxistische Imperialismustheorie. Er verstand den Imperialismus im Gegensatz zu Schumpeter als „zwangsläufiges Produkt des Kapitalismus auf einer höheren, nicht mehr freihändlerischen Entwicklungsstufe" [2]. Auf dieser Stufe liege die Kontrolle über den Staat in den Händen des Bankenwesens, das Hilferding als „Finanzkapital" bezeichnete. Dieses Finanzkapital benötige einen politisch wie ökonomisch mächtigen Staat, der einerseits den Erhalt seiner Machtstellung garantiere, andererseits immer neue Gebiete für neue Investitionsmöglichkeiten erschließe. Nach Hilferding erwächst aus der zunächst freiwilligen Vergrößerung des Machtbereiches des Finanzkapitals später eine wirtschaftliche Notwendigkeit, um nicht den Expansionsversuchen anderer Nationen zu unterliegen. Die imperialistische Expansion des Finanzkapitals beschleunige die Ausdehnung des Kapitalismus [4]. Es komme zwangsläufig zu Interessenkonflikten miteinander konkurrierender Wirtschaftsnationen, außerdem würde überall der innenpolitische Herrschaftsanspruch des Finanzkapitals bezweifelt. Hier sah Hilferding den Punkt, an dem der monopolistische Kapitalismus vom Sozialismus abgelöst werde: „In dem gewaltigen Zusammenprall der feindlichen Interessen schlägt schließlich die Diktatur der Kapitalmagnaten um in die Diktatur des Proletariats".
Rosa Luxemburg
Im Jahre 1913 veröffentlichte Rosa Luxemburg die „Akkumulation des Kapitals", eine weitere marxistische Imperialismustheorie. Luxemburg versteht ihre Abhandlung als Weiterführung der marxistischen Theorie über die Entwicklung des Kapitalismus. Dabei versucht sie den Umstand zu klären, warum der von Karl Marx vorhergesagte Übergang des Kapitalismus zum Sozialismus noch nicht stattgefunden habe. Ihrer Meinung nach ist, im Gegensatz zur marx'schen Darstellung, die „Akku-
mulation des Kapitals", also die Entwicklung zum monopolistischen Kapitalismus, abhängig von dem Bestehen vorkapitalistischer Gesellschaftsformen. Sie sucht die Ursachen für den Zusammenbruch des Kapitalismus also nicht in immanenten Faktoren sondern in der Abhängigkeit des Kapitals von den übrigen auf der Welt existierenden Herrschaftsstrukturen zu erklären.
Der Übergang zum Sozialismus sei erst möglich, dann jedoch auch zwingend, wenn das Kapital durch das Nichtmehrvorhandensein vorkapitalistischer Gesellschaftsstrukturen an seiner Expansion gehindert würde. Für Luxemburg spielt der Imperialismus dabei eine wichtige Rolle. Sie versteht ihn als Stufe des Kapitalismus, denselben einerseits vorantreibend, andererseits letztlich zerstörend. Der immer stärker werdende imperialistische Konkurrenzkampf der kapitalistischen Nationen um die Verteilung noch nicht kolonialisierter Gebiete führe gleichzeitig zum Zusammenbruch des Kapitalismus als solchem.
„Je energischer das Kapital den Militarismus gebraucht, um die Produktionsmittel und Arbeitskräfte nichtkapitalistischer Länder und Gesellschaften durch die Welt- und Kolonialpolitik sich selbst zu assimilieren, um so energischer arbeitet derselbe Militarismus daheim in den kapitalistischen Ländern dahin, den nichtkapitalistischen Schichten dieser Länder, d. h., den Vertretern der einfachen Warenproduktion sowie der Arbeiterklasse fortschreitend die Kaufkraft zu entziehen, d. h. die ersteren immer mehr der Produktivkraft zu berauben, die letzteren in ihrer Lebenshaltung herabzudrücken (...)" [4].
Für Luxemburg ist der Begriff des Militarismus gleichbedeutend mit Imperialismus. Es fällt auf, dass sie die Ursachen für den Zusammenbruch des Kapitalismus sowohl in der innen- wie auch in der außenpolitischen Anwendung imperialistischer Herrschaftsmittel sieht. Die Zerstörung der vorkapitalistischen Gesellschaftsstrukturen müsse zwangsläufig zum innenpolitischen Aufruhr und damit zur Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus führen.
Wladimir I. Lenin
Lenin entwickelte, basierend auf Hobsons Arbeit, die führende marxistische Theorie über in-
ternationale Beziehungen innerhalb eines internationalen Systems. Er wusste, dass es Imperialismus schon gegeben hatte, bevor der Kapitalismus seine höchste Stufe erreicht hatte, jedoch hatte er kein Interesse daran, Imperialismus in seiner Gesamtheit zu erklären; er beschränkte sich auf dessen Auswirkungen auf sozioökonomische Systeme, hier besonders auf den Kapitalismus. Für Lenin stellte der Imperialismus „das monopolistische Stadium des Kapitalismus" dar, in dem eine kleine Gruppe von Kartellen in der Industrie und im Bankwesen die Herrschaft übernommen hat und die Welt unter den einflussreichen kapitalistischen Nationen aufgeteilt worden ist. Lenin zeigt fünf Kennzeichen des Imperialismus auf [5]:
„1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, dass sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen.
2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses ^Finanzkapitals'.
3. Der Kapitalexport, im Unterschied zum Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung.
4. Es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen und
5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet."
Der Kapitalexport sei notwendig, da im Inland nur noch geringe Gewinne zu erzielen seien. Jedoch resultierten die Profite, die aus dem Kapitalexport erwüchsen, aus der wirtschaftlichen Ausbeutung fremder Völker. Lenin stellt fest, dass mit dem Grad der Entwicklung des Kapitalismus auch die Nachfrage nach Rohstoffen und neuen Absatzmärkten, also nach Kolonien, steige. Die Kontrolle über überseeische Besitzungen garantiere beides, dazu komme noch die Möglichkeit der Beschaffung billiger Arbeitskräfte. Dabei locke die besitzende Schicht die Arbeiter innerhalb ihrer eigenen Gesellschaft mit wirtschaftlichen Versprechen wie Erhöhung des Lebensstandards etc., um eine Front gegen obengenannte Fremdarbeiter aus den Kolonien zu bilden und sie auf diese Weise von den scheinbaren Vorteilen des Imperialismus auch für ihre Schicht zu überzeugen.
Seit der These, dass der Kapitalismus die Wurzel des Imperialismus sei, ist der Kapitalismus für Lenin genau wie für andere Vertreter der marxistischen Theorie auch der entscheidende Auslöser für internationale Kriege. Er begründet dies mit der Abhängigkeit kapitalistischer Wirtschaftssysteme von Kolonialgebieten. Weil die Welt jedoch unter den kapitalistischen Nationen aufgeteilt sei, bliebe dem Expansionswilligen als einziges Mittel zur Änderung des Status Quo der Krieg. Deshalb sei die Zerstörung der kapitalistischen Staaten die Grundvoraussetzung für die Beseitigung internationaler Konflikte.
Die leninistische Imperialismustheorie hat bis heute, abgesehen von einigen geringfügigen Änderungen, zu denen sich kommunistische Führer aufgrund internationaler strategischer Entwicklungen gezwungen sahen, Bestand. Ihre Anwendung bereitet Dougherty jedoch Schwierigkeiten. Zum einen würden „zivilisierte" Länder stärker in andere Industrienationen investiert haben als in die Entwick-
lungsländer jener Zeit, zum anderen wäre die Kolonisierung von unterentwickelten Ländern vor dem 1. Weltkrieg auch von zivilisatorischen Maßnahmen wie der Erhöhung des Bildungsgrades, der Errichtung einer medizinischen Grundversorgung und der Verbesserung des technischen und wissenschaftlichen Entwicklungsstandes begleitet. Laut Dougherty würde eine objektive Beurteilung des Imperialismus sowohl die Vor- als auch die Nachteile aufzeigen, jedoch beschränkten sich die Marxisten des 20.Jahrhunderts auf die Darstellung der Nachteile [6].
Dieser Versuch einer positiven Darstellung der imperialistischen Bestrebungen der Großmächte kann bei aller Nachsicht nicht geduldet werden. Dougherty scheint die barbarischen Methoden der Eroberer, die soviel Unheil über die Völker dieser Erde gebracht haben, vollkommen zu vernachlässigen. Strafexpeditionen in den Kolonien lassen sich nicht durch die Errichtung einiger Schulen, die die hervorgehobene Stellung der „weißen Rasse" gelehrt haben, rechtfertigen oder sogar als positiv bewerten.
Referenzen:
1. Milios, Jannis und Sotiropoulos, Dimitris. „Marxsche Theorie und Imperialismus." PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Heft 159, 40. Jg., 2010, Nr. 2, S. 259-275.
2. Hobson, John A. Der Imperialismus. 2. Aufl., Köln - Berlin, 1970.
3. Fenske, Hans. Politisches Denken im 20. Jahrhundert. Imperialismus, in: Lieber, H.-J. (Hg.), Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, (Schriftenreihe, Bd.229, Bundeszentrale für politische Bildung), 2.Aufl., Bonn, 1993.
4. Mommsen, Wolfgang J. Imperialismustheorien. 1.Aufl., Göttingen, 1977.
5. Hilferding, Rudolf. Das Finanzkapital. Wien, 1910.
6. Luxemburg, Rosa. Die Akkumulation des Kapitals. Berlin, 1946.
7. Lenin, Vladimir I. Imperialsm. The Highest Stage of Capitalism. New York, 1939.
8. Dougherty, James E./Pfaltzgraff, Robert L. Jr. Contending Theories of International Relations. Philadelphia, 1971.