УДК 37
ГРАУМАНН О.
профессор, доктор наук, Фондовый университет Хильдесхайма (Германия)
jaugrau@uni-hildesheim.de
ИЗ ИСТОРИИ ПЕДАГОГИЧЕСКОГО ОБРАЗОВАНИЯ ГЕРМАНИИ И СТРАН ЗАПА ДНОЙ ЕВРОПЫ
Аннотация: статья представляет очерк истории западно-европейского педагогического образования в период с XVIII века до наших дней, основанный на фундаментальных исследованиях немецких ученых. Автор затрагивает основные моменты исторического развития подготовки учителей в Германии на фоне краткого обзора педагогического образования Австрии, Франции, Англии и Италии. Этапы становления немецкого государства связываются с изменением образовательных потребностей общества и требованиями к содержанию и уровню подготовки учителей. Представлена последовательность профессионализации учительства Германии, различные типы образовательных учреждений, в которых осуществлялась педагогическая подготовка, названы исторические личности, оказавшие приоритетное влияние на реформы обучения немецкого народа (М. Лютер, А. Г. Франке, И. Г. Кампе, В. Гумбольдт, В. Ратке, И. Кант, И. Б. Базедов, А. Дистервег, Г. Ноль и др.). В статье показаны исторические тенденции и противоречия, связанные с влиянием на систему обучения и воспитания религии, политических идей, идей просветительства, общественных преобразований. На широком историческом фоне становятся более понятными истоки и природа сегодняшних политических дебатов и изменений в сфере западноевропейского образования. Анализируя сходство и различие в истории развития системы педагогического образования стран Западной Европы, автор указывает на важность изменений, вызванных Болонским процессом, и на широкие возможности, открывающиеся сегодня в области международного сотрудничества в сфере образования.
Ключевые слова: западно-европейская педагогика, история педагогического
образования в Германии, Австрии, Англии, Италии, Франции, развитие школы в Германии.
GRAUMANN O.
FROM THE HISTORY OF PEDAGOGICAL EDUCATION OF GERMANY AND COUNTRIES OF WESTERN EUROPE
Annotation: this article is an outline of the history of West-European pedagogical education in the period from the 18th century till the present, based on the fundamental research of German scientists. The author touches upon the main events in historical development of teacher training in Germany against a background of brief survey of pedagogical education in Austria, France, England and Italy. The stages of formation of German state are connected with the changes in educational needs of society and the requirements of contents and level of teacher training. There is a sequence of professionalization of teaching in Germany presented, as well as different types of educational institutions, which put pedagogical training into practice, and historical figures, who had prioritized influence on the educational reforms of German nation (M. Luther, A. H. Francke, J. H. Campe, W. Humboldt, W. Ratke, I. Kant, I. B. Bazedov, A. Diesterweg, H. Nohl etc.). The article shows historical trends and contradictions, connected with the influence on religion training system, political ideas, enlightenment ideas, and social transformations. The origins and nature of current political debates and changes in West-European education become clearer in the broad historical background. Analyzing similarities and differences in the history of the development of
pedagogical education system in the countries of Western Europe, the author points out the importance of the changes, caused by the Bologna Process, and great opportunities opening today in the field of international collaboration in educational sphere.
Key words: west-european pedagogy, the history of pedagogical education in Germany, Austria, England, Italy and France, the development of school in Germany.
GRAUMANN O.
ASPEKTE DER GESCHICHTE WESTEUROPAISCHER LEHRERBILDUNG
Die Geschichte der Lehrerbildung ist so vielfaltig, dass immer nur Schlaglichter auf ihren Verlauf geworfen werden konnen. An der deutschen Geschichte der Lehrerbildung und in kurzen Abrissen der Geschichte der Lehrerbildung in Osterreich, Frankreich, England und Italien werden im Folgenden einige der Entwicklungsstrange gezeigt, die heutige bildungspolitische Diskussionen und Entwicklungen verstandlicher machen sollen.
1. Aspekte der Geschichte der Lehrerbildung in Deutschland
1.1. Kurzer Abriss der Schulentwicklung in Deutschland vom Mittelalter bis zur Aufklarung
Die Schulentwicklung war zunachst eingebunden in den europaischen Christianisierungsprozess. Im Mittelalter ubernimmt die Schule in Form von Domschulen (auch Stifts-, Kloster- oder Klerikerschulen genannt) die Aufgabe der Ausbildung von kirchlich gepragten Amtsfunktionen. Die Domschulen bildeten Kleriker aus, die zugleich Lehraufgaben ubernahmen sowie Verwaltungsbeamte, Juristen und spater auch Mediziner. Gelehrt wurde in der Regel in der lateinischen Sprache, nach dem Lehrplan der «Septem Artes Liberalise (Grammatik, Rethorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musiktheorie und Astronomie). Dabei wurde von einem statischen Welt- und Wissenschaftsverstandnis ausgegangen d.h., was der Mensch uberhaupt wissen konnte, war bekannt, worauf es erzieherisch und unterrichtlich ankam, war Einubung und Nachsprechen: «Die Schule ist vor allem Buchschule, ihr Lernen ist bestimmbares, planbares und kontrollierfahiges Buchlernen», schreibt Keck (1997, S. 188).
Im Ubergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Ende 15. Jhd., Anfang 16. Jhd.) griff die sogenannte Renaissance auf die Werte der Antike zuruck und das Bedurfnis nach einer rein weltlichen Bildung wurde gefordert. Auch durch das allmahliche Aufbluhen des Handels und der Hanse wurde es im ausgehenden Mittelalter immer notwendiger, die Muttersprache, die Sprachen der Nachbarlander und das Rechnen zu erlernen. Dem Zeitalter der Renaissance liegt der Humanismus zugrunde, der eine umfassende Bildungsreform wollte, die es ermoglichte, dass sich die menschlichen Fahigkeiten durch die Verbindung von Wissen und Tugend entfalten konnen. Durch Nachahmung klassischer Vorbilder wollte man ein ideales Menschentum verwirklichen. Die Domschule entwickelte sich daher weiter von einer klerikalen und aristokratischen zu einer burgerlichen und demokratischen Schule, einer
humanistischen Gelehrtenschule, die nicht mehr nur von Jugendlichen des Adels besucht wurde, sondern auch vom Burgertum (Blankertz, 1982, S. 19).
Gegen Ende des Mittelalters wurde erstmals die dominierende Rolle der katholischen Kirche in Staat und Gesellschaft infrage gestellt. Die Reformation leitete den groBten Wandel in diese Richtung ein (Keck, 2009, S. 159). Unter Martin Luther (1483 bis 1546) als Begrunder der Reformation begann im 16. Jahrhundert eine Spaltung des Christentums in verschiedene Konfessionen. Viele Gebiete des Heiligen Romischen Reiches deutscher Nation wurden protestantisch und katholischer Besitz ging vielerorts in den Besitz der Fursten uber.
Luther ging gegen den Autoritatsanspruch der Kirche des Papstes vor und vertrat die These, dass der Glaube allein und nicht Sakramente und BuBe Gnade vor Gott erwirken. In der Kirche Luthers stand im Gottesdienst nicht wie in der katholischen Messe, die heilige Handlung der Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi im Mittelpunkt, sondern die Predigt und der Katechismusunterricht.
Jeder sollte daher in der Schriftsprache unterwiesen werden, um das «Gottes Wort» in der Bibel in der Muttersprache lesen zu konnen. Die Erfindung der Buchdruckerkunst (Mitte 15. Jhd.) ermoglichte eine weite Verbreitung der Bibel. Zunachst mussten die Erwachsenen das Lesen erlernen, um diese Fahigkeit dann an die Kinder weiterzugeben. Es entstand die «gemeine Schule», auch Kuster- oder MeBnerschule genannt (Keck, 2003, S. 22). Damit war der Weg geebnet fur die Alphabetisierung des Volkes und die Institutionalisierung von Lese- und Schreibtechniken, die durch Vorsagen und Nachsagen nicht mehr nur sonntags in der Kirche, sondern taglich im Unterricht gelehrt werden sollten.
Der Katechismus (Handbuch der Unterweisung in Grundfragen des christlichen Glaubens) war jedoch die fundamentale Glaubensgrundlage fur beide Konfessionen und bedingte letztlich eine allgemeine, von der Konfession unabhangige Alphabetisierung. Daher wird Bildung nicht nur von Luther sondern auch von den Jesuiten als Vertreter des Katholizismus als das Fundament aller Reform betrachtet (Keck, 2003, S. 25). Sowohl Reformation als auch Gegenreformation setzen damit erste Anfange fur ein Volksschulwesen, denn ab dieser Zeit wurde ein systematischer Religionsunterricht notwendig, fur den das Lesen und Schreiben erforderlich war (Blankertz, 1982, 20).
Im 17. Jhd, der Zeit der Nachreformation und dem Zeitalter des Absolutismus, wurden die Landesfursten und freien Reichsstadte zu Schultragern mit je eigenen Schulordnungen wie z.B. Gotha 1642 mit einer zentralen Schulplanung (Keck, 2002, S. 1112). Erst ab dieser Zeit der territorialen Konfessionsausbildung, (d.h. der jeweilige Furst bestimmt die religiose Ausrichtung seiner Untertan) beginnen sich protestantische und katholische Schulsysteme zu unterscheiden (Keck, 2003, S. 26). Die Schulordnungen fuhrten dazu, dass nun uber die Struktur von Unterricht und Schulorganisation uber die Landesgrenzen hinaus diskutiert wurde. Der Schulmethodus von Gotha galt schon zu seiner Zeit als Praxismodell. Im Mittelpunkt jeder Unterweisung stand jedoch neben der Gottesfurcht der Gehorsam gegenuber dem Landesfursten.
Bezuglich der Lehrerbildung fur das hohere Lehramt muss man nochmals rekapitulieren, dass bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Latein- und Gelehrtenschulen katholische oder protestantische Geistliche unterrichteten. Die Lehrer fur das hohere Lehramt hatten daher immer eine universitare wissenschaftliche Ausbildung, auch wenn diese nicht auf das Lehren sprich Didaktik und Padagogik ausgerichtet war. Die Reform der Universitat, die auf Wilhelm von Humboldt (1767-1835) zuruck geht, veranderte auch das Bild des Gymnasiallehrers, der jetzt die Gymnasiasten auf das zukunftige Universitatsstudium vorbereiten sollte. Die Ausbildung an der Universitat wurde deshalb auf die Fachwissenschaften orientiert. Dieses zeigte sich auch in der Einfuhrung der berufsqualifizierenden Staatsprufung 1810 (examen pro facultate docendi) und der Abiturprufung 1812 in PreuBen.
Damit trennt sich erstmals die Professionalisierung des hoheren Lehramts nun von der Theologie. Die Prufungen wurden zunachst von der Philologie bestimmt, doch allmahlich werden auch Mathematik und die Naturwissenschaften bedeutsam. Durch die preuBische Prufungsordnung von 1831 und die Neuregelung von 1866 lost der fachwissenschaftlich gebildete Gelehrte den umfassend gebildeten Schulmann ab. Padagogik ist nach wie vor kein Pflichtfach - die Uberzeugung, ein guter Wissenschaftler sei immer auch ein guter Lehrer, wird bis weit in die Jetztzeit hinein diskutiert (Sandfuchs, 2004, S. 17 ff).
Eine umfassende Volksbildung und eine institutionalisierte Lehrerausbildung fur das niedere Schulwesen gab es jedoch zu dieser Zeit noch nicht. Man muss betonen, dass - trotz bedeutsamer Modelle und Schriften von Johan Amos Comenius/ Komensky (1592-1670), Wolfgang Ratke (1571-1635), Andreas Rhyer (16011669), die von Intellektuellen rezipiert wurden - die Schulsituation auf dem Land in einem erbarmlichen Zustand war, sofern es uberhaupt Schulen gab. Eine Gruppe von Kindern allen Alters wurde in der Wohnstube des «Schulmeisters» unterrichtet, in der sich auch die Familie und das Vieh aufhielt. Obgleich es eine Unterrichtspflicht gab, gingen die meisten Kindern nur im Winter und sonntags zur Schule, da sie in ihren Familien zur taglichen Feldarbeit gebraucht wurden. Die Lehrer fur das Volk hatten keine Ausbildung, sie rekrutierten sich haufig aus entlassenen Soldaten, einfachen Handwerkern und Arbeitslosen, die selbst kaum rechnen und lesen konnten.
Von 1729 gibt es z.B. Berichte uber den Bewerbungsvorgang fur eine Schulstelle vor der Gemeinde, bei der der Bewerber seine Kenntnisse bezuglich der Kirchenlieder, des Lesens des Katechismus, des Schreibens und des Rechnens zeigen musste.
«Jakob Moehl, Weber, hat die 50 Jahre hinter sich. Er sang: O Mensch beweine, Zeuch ein zu deinen Thoren. Wer nur den lieben Gott laBt walten. Melodie ging ab in viele andere Lieder, er quieke manchmal, so doch nit sein soll. Gelesen Josua 19, 1 -17 mit 10 Fehlern, buchstabierte Josua 18, 26-29 ohne Fehler. Dreierlei Handschriften gelesen - schwach und mit Stocken. Drei Fragen aus dem Verstand -befriedigend. Aus dem Katechismo die 10 Gebote und die 41. Frage aufgesagt, ohne Fehler, drei diktierte Reihen geschrieben, 5 Fehler, des Rechnens ist er nit kundig.» Jakob Moehl wurde von der Gemeinde und dem Pastor einstimmig gewahlt (zit. aus
«Die kaufmannische Schule», H. 12/1976), weil die anderen Kandidaten noch schlechter waren.
Dieser Zustand anderte sich allmahlich mit der Epoche der Aufklarung, einer Epoche der moderenen westlichen Philosophie. Man kann auch vom, Zeitalter der Aufklarung‘ sprechen. Der Philosoph Emanuel Kant beantwortet, als die Epoche bereits ihrem Ende entgegenging, die Frage «Was ist Aufklarung?» wie folgt:
«Aufklarung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmundigkeit. Unmundigkeit ist das Unvermogen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmundigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der EntschlieBung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklarung». (Kant, 1784, S. 169) «...es ist so bequem, unmundig zu sein. » heiBt es an spaterer Stelle (Kant, ebd.).
Die Idee des vernunftgeleiteten, mundigen und zum Handeln berufenen Menschen wirkte sich auch auf die Padagogik aus, denn der Kindererziehung und damit auch dem Schulwesen wurde eine zentrale Rolle bei der Entwicklung zum mundigen Burger zugewiesen. Schule erhielt zunehmend das Ausbildungsmonopol in Bezug auf Vermittlung von Wissen, von Konnen und Werten. «Sie, die Vernunft, galt als ein und dieselbe fur alle denkenden Subjekte, fur alle Nationen, Rassen, Epochen und Kulturen» <...>. Das finden wir, wie selbstverstandlich, auch bei einem Klassiker der Padagogik, Jean-Jacques Rousseau“, schreibt Blankertz (1982, S. 27). Neu war nun, dass Erziehung in der Hand des Menschen liegt und zum Gegenstand einer eigenen Reflexion gemacht werden muss. Das zeigt sich darin, dass Christian Trapp, ein The-oretiker der Aufklarungspadagogik und Philanthrop, 1779 den ersten Lehrstuhl fur Padagogik an einer deutschen Universitat in Halle und Johann Heinrich Campe (1746-1818) 16 Bande herausgab: „Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens von einer Gesellschaft praktischer Erzieher. Er berief sich dabei vor allem auf Rousseau, indem die befreiende Wirkung seiner Padagogik und die An-erkennung des Eigenrechtes des Kindes hier schulpadagogisch konkretisiert wurden. Die Philanthropine (Philanthrop griech., Menschenfreund‘) waren eine Alternative zu der im Schematismus erstarrten lateinischen Schulgelehrsamkeit. Sie hoben viele ein-engende Gebrauche auf wie z.B. das Tragen von Perucken. Statt nur uber Buchern zu sitzen, gab es Sport und Wanderungen. Den Kern der Didaktik machte eine weltoffe-ne Bildung aus, die - an der Schwelle zum Zeitalter der Industrialisierung - an mo-dernen Sprachen, Mathematik und den Naturwissenschaften orientiert war. Die Ein-richtungen der Philanthropen zeigten, dass «Schule auch Statte der Freude, des Froh-sinns und Spiels sein konne, dass Schule nicht gekennzeichnet sein musse durch Schreie gezuchtigter Kinder und vom Zorn berauschter Lehrer» (Blankertz, 1982, S. 81). Obgleich mehr als 60 reformoffene aufgeklarte Erziehungs-, Unterrichts- und Lehranstalten zwischen 1770 und 1800, ausgehend von dem von Johann Bernhard Basedow gegrundeten Philanthropin in Dessau, in Deutschland eingerichtet wurden, hat sich diese Padagogik nicht durchgesetzt. Die meisten dieser Anstalten uberlebten kaum langer als zwanzig Jahre. Bewirkt haben insbesondere die Philanthropen jedoch, dass nun eine allgemeine Unterrichtspflicht von staatlicher Seite luckenlos rea-
lisiert werden sollte und der Staat ausreichend Schulen zur Verfugung stellen musste, in der die Kinder und Jugendlichen auf einen Beruf im Sinne von Nachwuchsbildung vorbereitet werden sollten (Blankertz 1982, S. 86/87). Das «Generallandschulregle-ments» von 1763 in PreuBen enthielt die Aufforderung zum Schulbesuch und bildete damit die Grundlage fur die Entwicklung des deutschen Volksschulwesens.
1.2. Entwicklungsstufen der Lehrerbildung
Nach dem Generallandschulreglement beginnt nun auch die Zeit, in der man von einer allmahlichen Professionalisierung des Lehrers fur das niedere Schulwesen, die Volksschule, sprechen kann. Die deutsche Volksschullehrerausbildung erfolgte in drei Phasen:
- Schulung im Lehrerseminar;
- Studium in padagogischen Akademien (spater hieBen sie Padagogische Hochschulen):
- Wissenschaftliche Ausbildung an Universitaten.
(Oelker/ Neumann, 1985, S. 127.)
Lehrerseminar:
Erste Vorlaufer eines Lehrerseminars gab es bereits im 17. und 18. Jhd. Zu den Aufklarungspadagogen gehorten neben den Philanthropen auch die Pietisten. Nach Keck kommt insbesondere durch den Pietismus die Bildung des Volkes in den Blick (Keck, 1989, S. 199). August Hermann Francke (1663-1727), der bedeutendste Padagoge unter den Pietisten, grundete 1694 in Halle an der Saale eine Armenschule, die sich bald zu einer Anstalt entwickelte, die neben der Schule Spinnereien, Webereien, eine Apotheke und eine Druckerei enthielt. Der Pietismus lehrte im Gegensatz zu Luthers Protestantismus, dass der Mensch, der sein Leben Gott weihe und gute Werke vollbringe, von Gott nicht im Stich gelassen werde. Francke war gepragt durch die Schulordnung von Gotha von 1642 und zielte auf eine beruflich orientierte realistische Wendung des Schulwesens ab. Der Pietismus forderte die Trennung von Staat und Kirche und half, einen neuen Stand des gebildeten Burgertums zu schaffen, der das Zentrum der deutschen Kultur wurde (Blankertz, 1982, S. 54). «Erziehung fuhrt in das wirkliche Leben, und das wirkliche Leben erfordert ausdrucklich Erziehung» (Blankertz, 1982, S. 28). Aus diesem Gedankengut heraus grundete Johann J. Hecker (1707-1768), ein Schuler Franckes, 1748 das erste preuBische Lehrerseminar, ein «Kuster- und Schulmeisterseminar» das spezifisch Lehrer fur die von ihm ins Leben gerufene «Realschule» ausbilden sollte. Diese Lehrerseminare, die sich zunehmend weiter verbreiteten, waren zunachst keine eigenstandigen Einrichtungen, sondern sie waren Waisenhausern, Burgerschulen oder Lateinschulen zugeordnet (vgl. Sandfuchs, 2004, S. 22).
Erst ab Anfang des 19. Jhd. wurden die Lehrerseminare eigenstandige Institutionen.
Im Laufe des 19. Jhd. war es dann auch moglich, dass Frauen in den Volksschulen unterrichteten. Das erste preuBische Lehrerinnenseminar wurde 1832 gegrundet. Die Grunde dafur waren Lehrermangel bzw. Lehreruberfluss. Lehrerinnen
durften nicht heiraten und erhielten nur Zeitvertrage, so dass sie schnell eingestellt bzw. entlassen werden konnten. Die Ausbildung von Frauen und Mannern war bis in die 1920er Jahre getrennt.
Adolf Diesterweg (1790-1866) war zuletzt von 1832 bis 1847 als Direktor des Stadtschulseminars in Berlin tatig. Als liberaler Padagoge engagierte er sich fur eine professionalisierte Volksschullehrerbildung und die soziale Anerkennung des Volks-schullehrers, der zu dieser Zeit eher verachtet wurde als Hungerleider, da er einen nur geringen Lohn erhielt und als Vertreter der «Prugelpadagogik». Diesterweg war An-hanger Johann Heinrich Pestalozzis (1746-1827) und er trug viel dazu bei, dessen Ideen und didaktischen Grundsatze zu vertreten, die er mit den Auffassungen von Friedrich Frobel (1782-1852) verband.
In seiner Zeit als Direktor des Lehrerseminars in Moers (von 1820-1832) be-suchte Diesterweg verschiedene Volksschulen, die er zum groBen Teil in einem sehr schlechten Zustand antraf. «Scharfste Kritik ubte Diesterweg an der Tatsache, daB Ungehorsam und Zuchtlosigkeit den Unterricht an einigen Schulen bestimmen. Die Lehrer seien nicht in der Lage, sich durchzusetzen. Uber die von der fruhen Industria-lisierung erfaBten Stadte des Wuppertasl fuallte er ein besonders hartes Urteil: ,In den meisten Schulen Elberfelds und Barmens herrscht unter den Schulern ein solcher Grad von Unruhe, Unbestandigkeit, zerstreutes Wesen, Frechheit, Ruhelosigkeit und wahre Gottlosigkeit, daB die Moglichkeikt fast ubertroffen wird‘. So habe in der Schule des Lehrers Wilms, einem pensionsreifen alten Mann, ein wilder Tumult mit Apparaten, FuBen und Armen, ein tolles Durcheinanderschreien einer ungezogenen, frechen Jugend‘ geherrscht. Das Ganze habe gerdezu den Anblick eines offenen Kriegszustandes dargeboten. Die Lehrer musten sich mit drohungen und Gewaltan-wendung Respekt verschaffen.» (Goebel, 1995, S. 103). Diesterweg machte fur diese Zustande die unzureichende Seminarausbildung verantwortlich, auch die seiner eigenen Seminaristen. «Der Hebel der Schulreform, die den methodisch besser ausgerus-teten Lehrer zum Ziel hatte, war also bei den eigenen Seminarabsolventen anzuset-zen», schreibt Goebel (1995, S. 104). In einem der Seminare fand Diesterweg «das Bessere, welches das Seminar zu verbreiten sucht, eingefuhrt: sinnvolles Lesen, ver-standlichen und gemuthlichen Religionsunterricht, wohlklingendes sanies Singen, uberhaupt denkendes Lehren und Lernen, geregelte Zucht und unbedingten Gehor-sam» (ebd. S. 104). Allerdings muss man auch sehen, dass die Schulverhaltnisse hau-fig unzumutbar waren. Die Raume waren fur die groBe Zahl an Schulern - teilweise 160 Kinder - viel zu klein und mangelhaft ausgestattet. Die Kinder mussten auf den Knien schreiben, da keine Tische aufgestellt werden konnten. Die Lehrer mussten 40 Wochenstunden arbeiten, die Lehrerbesoldung war so gering, dass sie mehrere Ne-benberufe (Kuster, Versicherungsvertreter, Kleinbauer) annehmen mussten, um leben zu konnen. Oft erhielten sie von den Eltern Fleisch, Eier und Mehl. (Erstaunlicher-weise habe ich als junge Lehrerin um 1970 in der Volksschule auf dem Land eben-falls noch Fleisch und Eier von den Bauern als Geschenk erhalten. So lange hielt sich diese Tradition).
Der politische Hauptgrund fur die sehr viel langsamere Entwicklung der Volksschullehrerausbildung im Vergleich zur Professionalisierung im Bereich der hoheren Bildung, ist nach Oelker und Neumann im Scheitern der Revolution von
1848 zu sehen (1985, S. 128). Reformorientiere und liberale Padagogen wie u.a. Adolf Diesterweg wurden zum Sundenbock fur die Revolution erklart, eingesperrt oder - wie Diesterweg - ihres Amtes enthoben. «Seit Beginn des 19. Jhd. wird Schulreform zunehmend vom Staat zur Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung in Anspruch genommen», schreibt Keck (2009. S. 161). Dies zeigt sich insbesondere in der Reaktion auf die Revolution von Seiten des Wilhelminismus (Kaiser Wilhelm): Zementierung des Standestaates und Aufbau von Bildungsprivilegien fur Adlige und hohere Stande.
Allerdings hat die Zerschlagung der Revolution und die darauf folgenden Reglementierungen auch etwas Gutes insofern, als nun ab 1890 flachendeckend Lehrerseminare eingerichtet wurden (in kleinen Stadten, um die Kandidaten von aufruhrerischen Bewegungen abzuschotten) und diese eine Ausbildung erhielten, auch wenn der Wissenskanon, der hier erworben werden sollte, sehr eng war. Die «Allgemeinen Bestimmungen» des Volksschul-, Praparanden- und Seminarwesens von 1872, die fur PreuBen Gultigkeit hatten, enthalten nun eine Lehrordnung und einen Lehrplan (Oelkers, Neumann, 1985, S. 128). Von der Umsetzung der Forderung, die u.a. Diesterweg schon 1836 erhob, dass auch die Lehrerausbildung fur die Volksschule einer universitaren Bildung bedurfe, da die Seminarausbildung nicht dem gegenwartigen Stand der Wissenschaft entsprache, war man nach wie vor sehr weit entfernt.
Studium in padagogischen Akademien
Ob die Universitat im Stande ist, Lehrer auszubilden, die ihr Lehrgeschaft verstehen sollen, also eher praktisch ausgebildet werden mussen, wurde schon Mitte der 19. Jhd. von Lehrerverbanden auf ihren Versammlungen diskutiert (vgl. Sandfuchs, 2004, S. 25) und diese Diskussionen sind nie ganz verstummt.
Auf der Lehrerversammlung in Konigsberg 1904 wurden folgende Beschlusse gefasst:
1. Die Universitat als Zentralstelle wissenschftlicher Arbeit ist die geeignetste, durch keine andere Einrichtung vollwertig zu ersetzende Statte fur die Volksschullehrerbildung.
2. Fur die Zukunft erstreben wir daher die Hochschulbildung fur alle Lehrer.
3. Fur die Jetztzeit dagegen fordern wir, daB jedem Volksschullehrer aufgrund seines Abgangszeugnisses vom Seminar die Berechtigung zum Universitatsstudium erteilt werde.
(Sandfuchs, 2004, S. 29.)
1909, noch vor dem ersten Weltkrieg, machte der Deutsche Lehrerverein den KompromiBvorschlag einer «Padagogischen Akademie».
Welch kontroverse Diskussionen dann auf der Reichsschulkonferenz von 1919 gefuhrt wurden, zeigen z.B die Einlassung von Eduard Spranger, einem Klassiker der modernen Padagogik. Er lehnte das Abitur fur Volksschullehrer ab und warnte vor einem «Ansturm der Volksschullehrer auf die Universitaten». Andere Padagogen hielten dagegen, dass die Padagogik mehr als bisher der «Fundamentierung auf exakter wissenschaftlicher Forschung» bedurfe (Sandfuchs, 2009, S. 64/65). Padagogik wurde als eine hermeneutische Wissenschaft verstanden, die die Erziehungswirklichkeit im Verstehensprozess durchdringen sollte. «Praxisdruck
einerseits und Akademisierung andererseits bestimmten das theoretische Bemuhen der Padagogik wahrend der Weimarer Republik» (Weiner, 1992, S. 203). Hermann Nohl, einer der Hauptvertreter der geisteswissenschaftlichen Padagogik, wollte insbesondere die Lehr- und Forschungstatigkeit eng auf die Anforderungen der Praxis in allen Bereichen beziehen (ebd., S. 204). Doch gerade auch die Frage nach der Gewichtung von Theorie und Praxis wurde kontrovers disktuiert.
1926 grundete der damalige preuBische Kultusminister gemaB der Weimarer Verfassung die erste «Padagogische Akademie» bzw. «Padagogische Hochschule», fur deren Aufnahme das Abitur Voraussetzung war. In Baden-Wurtemberg und Bayern (hier schon 1910) wurden - meist konfessionell gebundene -«Lehrerbildungsanstalten» eingerichtet, fur deren Aufnahme das Abitur nicht immer zwingend war. Diese «Zwischenstufe» zwischen seminaristischer und universitarer Ausbildung wurde damit begrundet, dass die Volksschule keine wissenschaftlichen Fachlehrer brauche, sondern in erster Linie Erzieher. Zwischen Grund- und Hauptschule wurde dabei nicht unterschieden. Die padagogischen Akademien stellten folgerichtig nicht die wissenschaftliche Forschung, sondern die umfassende, vor allem auch asthetisch-musisch ausgerichtete Bildungserfahrung in den Mittelpunkt der Berufsvorbereitung (vgl. Oelker/Neumann, 1985, S. 129). Die Standesvertreter der Volksschullehrerschaft jedoch waren anderer Meinung und forderten die gleiche wissenschaftliche Vorbildung fur aller Lehramter, fur Volksschule ebenso wie fur Gymnasien. Doch bis heute wird diese Forderung in Deutschland nicht erfullt.
Aus der Volksschullehramtsausbildung heraus entstanden zu Beginn des 20. Jhds weitere Lehramter wie das Lehramt des Realschullehrers, des Hilfsschullehrers und des Berufsschullehrers. Auch hier wird die Akademisierung der Ausbildung angestrebt (vgl. Sandfuchs, 2004, S. 25). Auf diese Lehramter kann jedoch an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.
1.3. Zeit des Nationalsozialismus
Die nationalsozialistische Schulpolitik brachte in Bezug auf die Organisation keine schwerwiegenden Einschnitte. Die Erziehung der NSDAP konzentrierte sich auf Jugendorganisationen wie die Hitlerjungend, den Aufbau der «Staatsjugend» und entsprechende Schulungen. Bei der Volksschullehrerbildung dagegen «kulminierten Antiintellektualismus und restriktive Schulpolitik» (Blankertz 1982, S. 242). Alle judischen Lehrerbildungsstatten wurden geschlossen und im «Gesetz gegen Uberfullung der deutschen Schulen und Hochschulen» wird der Eindruck suggeriert, als gabe es einen uberproportional hohen Antaeil judischer Studierender an den Universitaten. 1933 wurden die Padagogischen Akademien in «Hochschulen fur Lehrerbildung» (HfL) umbenannt, was jedoch nur scheinbar eine akademische Lehrerbildung zu sichern schien. Republiktreue Dozenten wurden entlassen und 1940 wurden die Hochschulen durch «Lehrerbildungsanstalten» (LBA) ersetzt. Den Einrichtungen waren streng ideologisch durchstrukturierte Internatsbetriebe (fur Manner und Frauen getrennt) angegliedert. Schon bald zeichnete sich ein eklatanter Volksschullehrermangel ab - insbesondere ab 1939 auch kriegsbedingt -, so dass begabten Schulern schon nach einem achtjahrigen Besuch der Volksschule die
Moglichkeit zu einer Ausbildung zum Volksschullehrer angeboten wurde. Abitur war keine Voraussetzung mehr. Die Ausbildungszeit betrug 5 Jahre, mit Mittlerer Reife sogar nur 3 Jahre. Nach zwei Jahren Dienst musste eine zweite Lehrerprufung abgelegt werden, worauf die lebenslange Verbeamtung erfolgen konnte. Die Ausbildung war kostenlos und damit unabhangig vom finanziellen Status der Eltern.
Eine groBe Zahl der Professoren bekannte sich zu Hitler und war bereit, die nationalsozialistischen Erziehungsziele zu ubernehmen und eine groBe Zahl der Lehrerschaft und der Lehrerbildner trat in die NSDAP ein. Teils taten sie es, weil es von ihnen als Beamte erwartet wurde, teils waren Sie aber auch uberzeugte Anhanger Hitlers und der Erziehungsvorstellungen des Nationalsozialismus. Dresselhaus schreibt dazu: «Die Erreichung der faschistischen Systeme in Italien und Deutschland beruht auf einer engen Verflechtung der faschistischen Bewegung mit weiten Teilen der herrschenden Klasse. Hierzu gehoren vor allem das Militar, die Burokratie und die Kirchen <. > Aber nicht nur das Militar auch die mittleren und hoheren Beamten in Justiz und Vewaltung sowie Lehrer an Hochschulen und Gymnasien hatten in Deutschland dem kaiserlichen Obrigkeitsstaat treu gedient, einem Staat, der den Glanz einer GroBmacht ausstrahlte und zugleich ihre gesellschaftlichen Privilegien schutzte. Der Faschismus schien ihnen die Ordnung im Inneren und die Machtstellung nach auBen wiederherzustellen» (1997, S. 410). Die Struktur und Ideologie von Burokratie, Kirche und Lehramt, war durch die vorausgehende Feudalherrschaft autoritar bestimmt und auf Gehorsam ausgerichtet, so dass diese zu willigen Opfern des Nationalsozialismus wurden.
In zahlreichen Lehrerbildungsanstalten wurde, wie z.B. in Kiel, die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zusammen mit nationalsozialistischen Studenten im Januar 1933 durch Hissen der Hakenkreuzflagge uber dem Gebaude begruBt (http://www.uni-kiel.de/ns-zeit/ph/). Der Direktor zeigte sich einverstanden mit den personellen Veranderungen, die sich durch das Gesetz zur «Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» (BBG) ergaben, das hieB u.a., dass nur diejenigen, die eine «rein arische Abstammung» nachweisen konnten, im offentlichen Dienst angestellt werden konnten. «Judisch versippte» Beamte waren in den Ruhestand zu versetzen (http://www.uni-kiel.de/ns-zeit/bios/glossar.shtml#beamtengesetz). Das veranlasste viele Professoren und Lehrer dazu, aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, Mitglied in der NSDAP zu werden, auch wenn sie sich nicht zum Faschismus bekennen konnten. Daruber hinaus gab es wie z.B. in Kiel auch Kollegen, die nicht nur Mitglieder der NSDAP waren, sondern auch Mitglieder der SS und/oder SA (http: //www.uni-kiel. de/ns-zeit/ph/).
Da die nationalsozialistische Herrschaft verhaltnismaBig kurze Zeit dauerte, sind die Auswirkungen bis heute nur schwer abzuschatzen. «Dennoch wird man davon ausgehen mussen, daB eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen in diesen zwolf Jahren erheblichen Einflussen totalitarer Herrschaft ausgesetzt und unterlegen war» (Weiner, 1992, S. 199).
1.4. Lehrerbildung in der Bundesrepublik Deutschland
Nach 1945 wollten die Besatzungsmachte zunachst ein horizontal gegliedertes Schulsystem in Deutschland sowie eine Lehrerbildung an wissenschaftlichen Hochschulen einfuhren. Doch es setzte sich das traditionelle dreigliedrige Schulsystem durch. Fur die Volksschullehrerbildung etablierten sich in fast allen Bundeslandern «Padagogische Hochschulen», die in den 1970er Jahren in die Universitaten integriert wurden.
Eine wesentliche Spezifik deutscher Lehrerbildung liegt in der Kulturhoheit der 16 Bundeslander. Ein MindestmaB an Einheitlichkeit wird durch die Kultusministerkonferenz (KMK) gewahrleistet. Dennoch ist nicht immer gesichert, dass Abschlusse jeweils gegenseitig anerkannt werden.
Seit dem 1970 vorgelegten «Strukturplan zur Neuordnung des Bildungswesens» gliedert sich das Schulsystem in die Elementarstufe (Kindergarten und Vorschulerziehung), die vier - in einigen Bundeslandern - sechsjahrige Primarstufe, auf der die weiterfuhrenden Schulen, Hauptschule, Realschule mit dem Abschluss der Mittleren Reife (Sekundarstufe I) und Gymnasium mit dem Abitur als Abschluss sowie alle Einrichtungen der Berufsausbildung (Sekundarstufe II) aufbauen. Deutschland hat bis heute das dreigliedrige Schulsystem erhalten und in fast allen Bundeslandern endet die Primarstufe bereits nach dem 4. Schuljahr - damit unterscheidet es sich von fast allen anderen europaischen Landern, die entweder eine 6jahrige Primarstufe oder ein Einheitsschulsystem haben.
Lehrer fur die Primar- und Sekundarstufe I mussen in der Regel ein 6-8semestriges Studium (in den meisten Bundeslandern inzwischen konsekutiv, s. Bologna-Prozess) und fur das Lehramt fur die Sekundarstufe II ein 10semestriges Studium absolvieren. Das heiBt, dass es nach wie vor unterschiedliche Lehramtsausbildungen gibt, was sich auch im Lehrergehalt niederschlagt. Grund- und Hauptschullehrer erhalten ein geringeres Gehalt als Gymnasiallehrer. In der Regel werden zwei Unterrichtsfacher studiert und Bildungswissenschaften (Padagogik und Psychologie). In der Ausbildung fur das gymnasiale Lehramt gewinnt die Padagogik zunehmend an Bedeutung. Wahrend des Studiums werden mehrere schulpraktische Studien absolviert. Nach dem ersten Staatsexamen bzw. dem Masterdiplom, das von der Universitat vergeben wird, folgt eine mindestens einjahrige Referendariatsszeit bzw. ein Vorbereitungsdienst, der der praxisorientierten Berufsvorbereitung dient und in der meist auch schon eigenverantwortlich unterrichtet wird. Die Ausbildung wird mit einem zweiten Staatsexamen abgeschlossen. Die Lehrkrafte sind zum lebenslangen Lernen durch Weiterbildung verpflichtet.
Die Chance, eine Planstelle an einer Schule zu erhalten, hangt vom zyklisch wiederkehrenden Uberfluss oder Mangel an Lehrkraften ab. Da die Lehrerbildung standigen Reformen unterworfen ist, sind diese Ausfuhrungen nur RichtmaBe.
«Der lange Marsch der Lehrerausbildung vom voraussetzungslosen Nebenberuf zur akademischen Profession ist zunachst als Erfolg zu betrachten... jedenfalls wenn man die mehr als hundertjahrigen Postulate der Lehrerorganisationen zugrunde legt: Die Bezahlung der Lehrer ist angemessen, die Ausrustung der Schulen und Universitaten ist besser als je zuvor, traditionelle Minderwertigkeitsgefahle sind verschwunden, lahmende Streitpunkte (zum Beispiel Konfessionalitat oder Koedukation) sind kein Thema mehr. <...> Ein differenziertes Angebot an
Wissensbestanden hat die deutsche Lehrerschaft in ihrer langen Geschichte nie gehabt», schreiben Oelker und Neumann (1985, S. 130). Die Autoren weisen jedoch in den 1980er Jahren darauf hin, dass die Frage nach dem Wissen, das Lehrern in einer Weise vermittelt werden soll, dass sie es sinnvoll anwenden konnen, offensichtlich nicht konsensfahig sei. Was ein Lehrer wissen muss, bleibt ungeklart, das Theorie-Praxis Problem ist schwer aufzulosen, da die Erwartungen an eine praktische Berufsausbildung und an ein wissenschaftliches Studium unvereinbar zu sein scheinen (vgl. ebd. S. 131). Zwei gegenlaufige Konzeptvorschlage werden diskutiert: die Vereinheitlichung der Lehrerausbildung auf allen Stufen (Primar- und Sekundarstufen) und das Stufenlehrermodell (inhaltliche Differenzierung nach Primarstufe, Sekundarstufe I und Sekundarstufe II). Die letzten drei Jahrzehnte sind demnach gekennzeichnet durch kontrovers gefuhrte Diskussionen, durch Umstrukturierungen und sich stetig andernde Reformen. Seit den 1990er Jahren gibt es in allen Bundeslandern eine schulformbezogene Ausbildung, wobei in einigen Bundeslandern wie u.a. Niedersachsen Primar-, Haupt- und Realschule zusammengefasst werden, die gymnasiale Lehrerbildung, die Berufsschullehrerbildung und die Sonderschullehrerbildung je getrennte Studiengange sind.
Was ist nun spezifisch deutsch? Karl Marx schreibt: «Die Deutschen haben in der Politik gedacht, was die anderen Volker getan haben» (1976, S. 385). Damit bezeichnet er eine Besonderheit der Deutschen, ins «Theoretisieren» zu fluchten (Dresselhaus 1997, S. 428). Dies hat nach Dresselhaus geistegeschichtliche Wurzeln in der Verinnerlichung des obrigkeitsstaatlichen Denkens im Prostestantismus von Luther, aus der langfristig auch die Treue des Beamten resultierte (vgl. Nationalsozialismus).
«Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus Uberzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autoritat gebrochen, weil er die Autoritat des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat den Menschen von der auBeren Religiositat befreit, weil er die Religiositat zum inneren Menschen gemacht hat. Er hat den Leib von der Kette emanzipiert, weil er das Herz an die Kette gelegt» schreibt Marx weiter (1976, S. 386).
Die aus Frankreich kommende revolutionare Welle wurde 1848 in Deutschland niedergeschlagen, da das deutsche Burgertum «die von unten nachdrangenden Arbeitermassen mehr» furchtete «als die feudale Reaktion» (Dresselhaus, 1997, S. 429). Damit versucht Dresselhaus die doch eher konservative Schulpolitik wie sie in Deutschland gegenuber anderen europaischen Landern noch heute vorzufinden ist, zu erklaren.
2. Geschichte der Lehrerbildung in weiteren westeuropaischen Landern
2.1. Osterreich
Im ausgehenden 18. Jahrhundert, im Zuge der Aufklarung, bildeten sich z.B. in Osterreich und damit auch u.a. in Ungarn, Bulgarien, Rumanien, Tschechien und
auch in Italien, das sich in dieser Zeit an die Entwicklung in der osterreichisch besetzten Lombardei orientierte (Polenghi, 2012, S. 139), erste Lehrerbildungsanstalten, die sogenannten «Normalschulen». In Wien wurde die erste dieser Schulen 1771 gegrundet. Ziel war eine starker padagogisch-wissenschaftlich akzentuierte Berufsvorbildung (Grimm/ Bali/ Pirka, 2012, S. 92). Das Grundungsdokument der osterreichischen Volksschule war die von Maria Theresia (1717-1780) unterzeichnete «Allgemeine Schulordnung fur die deutsche Normal-, Haupt- und Trivialschulen in sammtlichen Kayserl. Konigl. Erblandern». Es bestimmte Organisation, Inhalt und Methode des Elementarunterrichts fur fast ein Jahrhundert (ebd. S. 92). In ihr wurden «Normen fur die Lehrerbildung» formuliert, die fur die Normalschulen bindend waren. Anfangs waren es nur dreimonatige «Praparandenkurse», 1806 wurden sie auf sechs Monate verlangert. Im Vordergrund stand das «Abrichten» und «Praparieren» der Zoglinge, doch der Anfang fur eine systematische Berufsvorbereitung war gesetzt.
Langer als in Deutschland blieb das hohere Lehramt bis 1848 in den Handen der Theologen wie der Jesuiten und Benedektiner. Padagogisch-didaktische Aspekte fehlten in dieser Ausbildung. 1876 wurde in Wien das erste «Padagogische Seminar» eingerichtet. Die Prufungsordnung fur Kandidaten des Lehramtes an Gymnsaien, Realgymnasien und Realschulen von 1911 sah eine «philosophisch-padagogische Vorprufung» am Ende des funften Semesters vor, dennoch wurde das padagogische Begleitstudium wie auch in Deutschland nicht in das fachwissenschaftliche Studium integriert.
Die Revolution von 1848 ebnete zwar den Weg fur eine grundlegende Modernisierung des gesamten osterreichischen Bildungswesens (ebd. S. 94), doch der Primarbereich blieb zunachst unverandert. Die Praparandenkurse wurden jedoch von einem auf zwei Jahre erweitert. Erst mit dem «Reichsvolksschulgesetz» von 1869 kam es zu einer Verbesserung der „Pflichtschullehrerbildung“ und 1875 wurden vierjahrige Lehrerbildungsanstalten (LBA) eingerichtet, die staatlich oder katholisch waren. «Damit ging die ziemlich genau 100 Jahre wahrende Ara der Praparandenkurse zu Ende» schreiben Grimm, Bali und Pirka (ebd. S. 95). Fur die Aufnahme in die LBAs musste das 15. Lebensjahr beendet, sittliche Unbescholtenheit nachgewiesen und die Burgerschule, das Untergymnasium oder die Unterrealschule abgeschlossen sein. Das Curriculum war von Theorie und Praxis gepragt. Die LBA wurden mit einer «Reifeprufung» abgeschlossen, die die Zoglinge zum Unterricht an Volksschulen befahigte.
Mit der Konstituierung der demokratischen Republik Osterreich 1918 begann -wie auch in Deutschland zu dieser Zeit - eine neue Ara der Bildungspolitik. Auch hier wurde nun die Akademisierung der «Pflichtschullehrer» gefordert. Es wurde eine hochschulmaBige Ausbildung der Lehrer aller Schultypen an Universitaten mit angeschlossenen Ubungsschulen gefordert (ebd. S. 98). Doch die Vertreter der bisherigen vierjahrigen LBAs setzten sich durch. Der Anschluss Osterreichs an das nationalsozialistische GroBdeutsche Reich 1938 vereinte die deutsche und osterreichische Entwicklung im Bereich der Volksschullehrerausbildung (vgl. 1.3). 1962 erfolgte der Durchbruch zur akademischen Lehrerbildung. Es wurde eine vierjahrige Lehrerbildung an Padagogischen Akademien obligatorisch, die weder
Hochschulen noch Hohere Schulen sind, «sie stehen irgendwo dazwischen und unterstehen direkt dem Unterrichtsministerium» (ebd. S. 101). Mit der Verabschiedung des Padagogischen Hochschulgesetzes 2007 wurden aus den «Padagogischen Akademien» «Padagogische Hochschulen». Damit wurde in Osterreich die Lehrerausbildung fur Volksschulen, Hauptschulen und Sonderschulen und fur Berufsschulen auf Hochschulniveau gehoben.
2.2. Frankreich
Auch in Frankreich beginnt die Professionalisierung der Lehrerbildung im fruhen 19. Jhd. Es wurden die «ecoles normales» (EN) als staatliche Lehrerbildungsanstalten gegrundet (Grundig de Vazquez, 2012, S. 128). Sie bot eine dreijahrige fachliche und padagogische Ausbildung an, fur die die Kandidaten eine Aufnahmeprufung ablegen mussten. Wie auch in Deutschland war der Volksschullehrer sozial wenig begunstigt, doch die Lehrerbildungsanstalten sorgten zumindest fur verbindliche staatliche Leistungsstandards und dafur, dass der Lehrerberuf allmahlich durch den regularen Ausbildungsweg aufgewertet wurde. Jede Kommune sollte nun mit einer Volksschule ausgestattet werden. Nach dem Ende des deutsch-franzosischen Krieges 1870/71 zeichneten sich unter der Regierung der reformorientierten Republikaner bedeutende Fortschritte in der franzosischen Lehrerbildung und eine grundlegende Erneuerung des franzosischen Volksschulwesens ab. Die Republikaner «hofften auf eine neue Generation von rational denkenden, republiktreuen, sozial orientierten und gebildeten Burgern, welche die demokratische Gesellschaft tragen sollten. Dafur war eine flachendeckende hochwertige Primarschulbildung notig, in deren Genuss jeder einzelne kommen sollte» (ebd. S. 129). Nicht die soziale Herkunft, sondern die Leistung sollte entscheidend sein. Die Schulen sollten staatlich und kostenfrei sein. Nur ein gut qualifiziertes Lehrpersonal kann diesen Anforderungen gerecht werden. In Frankreich begann man also schon 50 Jahre fruher als in Deutschland (in der Weimarer-Republik) die Schulen und die Lehrerbildung zu reformieren.
Das bisherige Lehrerbildungssystem wurde um zwei elitare Lehrerbildungsanstalten erganzt: «ecoles normales superieures» (ENS), in denen besonders begabte Lehramtstudenten auf hohere Posten im Primarstufenbereich vorbereitet werden sollten. 1880 wurden die ersten Schulen fur weibliche Lehrkrafte gegrundet. Die ENS begrundeten die Tradition der «Grandes Ecoles» und haben bis heute ihren elitaren Character behalten (ebd. S. 129).
Ahnlich wie in Deutschland sah die Volksschullehrerbildung jedoch vor, dass den Lehrern ein zwar fundiertes, aber eingeengtes Wissen vermittelt werden sollte, das sie intellektuell nicht zu weit von den Schulern entfernte, um deren Bedurfnisse weiterhin wahrnehmen zu konnen. Das fuhrte dazu, dass die Volksschullehrer in der Regel aus bescheidenen Verhaltnissen stammten, was von Regierungsseite erwunscht war. Ein wichtiges Ziel war eine gefestigte moralische Grundhaltung. Die Lehrer des hoheren Bildungswesens gingen aus den Universitaten hervor.
1989 wurden einheitliche Lehrerbildungeinrichtungen beschlossen. Diese universitaren Lehrerbildungsinstitute «instituts universitaires des formation des
maitres» (IUFM) sind fur Aus- und Fortbildung aller Lehrkrafte des staatlichen Schulwesens verantwortlich. 1990 wurden die Lehrer aller Schulformen auf eine Gehaltsstufe gestellt - ein Vorgang, auf den man in Deutschland wohl noch lange warten muss. 2005 wurden die IUFM an die Universitaten angegliedert (ebd. S. 133).
2.3. England
Die Lehrerausbildung im 19. Jahrhundert lasst sich als Meisterlehre («classroom based apprenticeship») bezeichnen. In der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts gab es das sogenannte «Pupil-Teacher-System»: Die Schuler erhielten mit 13 Jahren die Moglichkeit in eine 5 Jahre dauernde «Meisterlehre» aufgenommen zu werden, wobei die fachliche Unterweisung nur einen sehr geringen zeitlichen Anteil hatte. Als Erganzung konnten sie ein «Training-College» besuchen, das auf moralische Erziehung und die Erziehung der Personlichkeit focussiert war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es fur die Lehrer der Sekundarstufe mehr Fachunterricht, damit wurde jedoch der Bezug zur Praxis verringert. Folglich wurde die Vermittlung padagogischer Techniken an die «Colleges Tutors» transferiert und gehorte nicht mehr zur Profession an sich. Im Laufe der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts war die Ausbildung nicht mehr nur auf einen «Meister» orientiert und die Lehramtsanwarter konnten selbstbestimmter ihre Ausbildung gestalten.
In den 1950-1970er Jahren gab es eine Verlagerung der Lehrerbildung in die hohere Bildung: «Colleges of education», «Instituts of higher education» und «Polytechnics» stellten solche Programme bereit. Die Einfuhrung des „Bachelors of Education^ brachte eine Reihe neuer Disziplinen wie Soziologie, Psychologie, Philosophie und Geschichte mit sich. Als Ergebnis wurde die Lehrerausbildung zunehmend akademisiert auf Kosten der Praxisanteile und somit verarmte die Beziehung zwischen akademischem Wissen und praktischen Fertigkeiten mehr und mehr. In den 1980er Jahren geriet die Schule wieder in den Blick der Politik und es wurde ein «professional standards framwork» mit einem zentral vorgeschriebenen Curriculum, einem rigorosen Inspektionssystem und der Orientierung auf den Schuler out-put eingefuhrt, auf das die Lehrerbildung verpflichtet wurde. Dies fuhrte 1998 zu einem Rahmen fur die Standardisierung der Lehrerausbildung (DFFE, QTS) und damit beginnt eine neue Professionalisierung der Lehrerbildung, die Vorbild fur alle anderen europaischen Lander wurde.
Heute wird dieses System teilweise als zu technokratisch («highliy technicist, instrumental approach to teaching») kritisiert. Die Kritik fuhrt soweit, dass ein Politiker 2010 die alte Meisterlehre wieder einfuhren mochte: «Teaching is a craft and it is best learnt as an apprentice observing the master craftsman or woman» (Jones 2012, S. 206).
2.4. Italien
In Italien hatten im 19. Jhd. die Lombardei und das Konigreich Sardinien die besten Bildungsgesetze. Die Lombardei hatte schon im ausgehenden 18. Jahrhundert die gleiche Lehrerausbildung wie Osterreich (s. 2.1). Daher war die Lombardei fur das 1861 vereinte Italien maBgebend fur alle anderen Staaten und von hier ausgehend verbreitete sich die «Normalmethode» (Polenghi, 2012, S. 139). Die Mehrheit der
Lehrer - und im Gegensatz zu Deutschland nicht nur der Gymnasiallehrer sondern auch der Volksschullehrer - waren Priester, auBer in der Lombardei und in Sudtirol, als Folge der Politik Josephs II. Auch kamen von dort die weiblichen Lehrkrafte, die es im ubrigen Italien zu dieser Zeit noch nicht gab.
Italien wurde 1859 vereint, das bedeutete, dass ein Schulgesetz verabschiedet wurde, das im Konigreich Italien bis 1923 in Kraft war. Erst 1913 gingen die Grundschulen von den Kommunuen in die staatliche Verantwortung uber. Die Normalschule, in der weiterhin die Grundschullehrer fur die sechsjahrige Grundschule ausgebildet wurden, dauerte nur zwei oder drei Jahre und konnte bereits von 14jahrigen Schulern besucht werden. 1896 wurde eine dreijahrige Mittelschule eingefuhrt, doch die Ausbildung der Grundschullehrer blieb bis Anfang des 20. Jahrhunderts oberflachlich. «Da Italien viele Lehrer benotigte, um den Analphabetismus» (besonders im Suden) zu bekampfen, zogen die Regierungen Quantitat statt Qualitat vor (ebd., S. 141). Wie auch in den anderen europaischen Landern forderten die Lehrer selbst (s. Lehrergewerkschaft «Unione Magistrale Nazionale», 1900 gegrundet) eine besser Ausbildung. Doch nur einige Universitaten boten zwischen 1904 und 1923 sogenannte zweijahrige «Padagogische Schulen» an, fur diejenigen, die Direktor einer Schule werden wollten. Auf diese Lehramtsstudenten wurde von den anderen Studierenden herabgeschaut, denn «die Universitat sollte in ihren Augen elitar bleiben» (ebd. S. 141). Da es fur Madchen die einzige Moglichkeit war, eine bessere Bildung zu erwerben, wurde die Normalschule schon um 1900 zu 94 % von Madchen besucht. Nun waren nicht mehr Priester, sondern Frauen in der Grundschule. Diese rasche Feminisierung hatte zwei pragmatische Grunde: Die Frauen erhielten 1/3 weniger Gehalt als die Manner und sie lieBen sich weniger in Gewerkschaften organisieren (ebd. S. 142). Letztlich war dies jedoch ein wichtiger Weg zur Emanzipation - Maria Montessori war eine der bedeutendsten Padagoginnen, die auf diesem emanzipatorischen Weg voranschritt.
1923 wurde zur Regierungszeit Mussolinis die «Padagogische Schule» geschlossen, die Normalschulen wurden jedoch reformiert und verbessert, sie hieBen jetzt «Istituto Magistrale» und dauerten 7 Jahre. Das Curriculum wurde auf Kosten der Praktika erweitert - wie auch in vielen anderen europaischen Landern. Erst 1952 wurde in die Grundschullehrerausbildung wieder das Praktikum eingefuhrt. Nach dem «Istituto Magistrale» konnte eine vierjahrige Padagogische Fachhochschule besucht werden, um Lehrer in der Sekundarstufe zu werden. Gymnasiallehrer mussten ein Studium absolviert haben, und auch hier findet sich wieder die Ansicht, dass Sekundarschullehrer keine padagogische und didaktische Ausbildung notig haben (ebd. S. 145).
Seit 1995 wurde die Padagogische Fakultat in die Bildungswissenchaftliche Fakultat umgewandelt. 2011 muss fur das Grundschullehramt ein 5-jahriger Kurs absolviert werden mit vorheriger Zulassungsprufung. Dies bedeutet nach Polenghi jedoch keine Verbesserung, «da das Curriculum vom Enzyklopadismus gepragt ist» (ebd. S. 148). Grundschullehrer mussen jedoch Sonderpadagogik und Klinische Psychologie studieren, da die Integration von Schulern mit einer Behinderung in die Regelschule in Italien obligatorisch ist. Als Besonderheit fugt Polenghi (ebd. S. 150 ff) noch an, dass in den Grundschulen fast 100 % Frauen unterrichten und der Anteil
in der Sekundarstufe steigend ist (damit ist er sehr viel hoher als in anderen europaischen Landern). Das wirkt sich - auch im Vergleich mit anderen Landern -heute noch negativ auf das Gehalt und den sozialen Status aus.
3. Analyse / Gesamtuberblick
Man kann von einer gesamteuropaischen Entwicklung der Institutionalisierung der Lehrerbildung fur das niedere Lehramt sprechen, die im ausgehenden 18. Jahrhundert allmahlich beginnt. Bis Ende des 19. Jhd. gab es in der Regel flachendeckende Lehrerbildungsstatten fur das niedere Lehramt in allen europaischen Landern, auch den hier nicht naher beschriebenen skandinavischen Landern. Die gemeinsame Grundlage fur eine Professionalisierung der Lehrerbildung ist die Aufklarung, die den selbsttandig denkenden Menschen erforderte.
Auch in der Zeit vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des ersten Weltkrieges zeigen sich vergleichbare Entwicklungsstrange, ausgelost durch den Perspektivenwechsel hinzum Kind, seinen Bedurfnissen und individuellen Entwicklungsmoglichkeiten. Reformpadagogische Ansatze, die das Kind in den Mittelpunkt ihrer padagogischen und didaktischen Bemuhungen stellen, finden sich in fast allen west- und osteuropaischen Landern. Allen gemeinsam ist jedoch auch, dass die reformpadagogischen Theorien zwar Eingang in die Lehrerbildung gefunden haben, jedoch eher nicht die Lehrerbildung insgesamt pragten, die nach wie vor von den jeweiligen nationalen politischen Gegebenheiten abhangig war. Die Revolution 1848 wirkte sich z.B. in Deutschland sehr viel anders aus als in Frankreich und die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg brachte nur in den Landern, die von der Monarchie in eine Republik ubergingen, auch einschneidende Reformen in der Bildungspolitik wie in Deutschland und Osterreich. Die Zeit zwischen 1930 und 1945 war insbesondere fur Deutschland und teilweise auch Osterreich sowie Italien bildungspolitisch relevant, nicht aber fur Frankreich und England.
Gemeinsam ist allen europaischen Landern auch die Kluft zwischen den beiden Lehrerkategorien: dem Lehramt fur die «hohere» Bildung und dem Lehramt fur das «niedere» Volk. Die einen absolvieren als Lehrerbildner fur zukunftige Studenten ein wissenschaftliches Studium (in der Regel ohne oder nur mit geringen padagogischen Anteilen), die anderen eine praxisorientierte, im Wissenskanon eingeengte Ausbildung im Sinne von: «The man who teaches the children of peasenats must be a peasant himself» (zit. n. Winter, 1980, S. 297). Die Diskussion, wieviel Fachwissenschaft, wieviel Padagogik, wieviel Praxis benotigt eine Lehrerausbildung wird in allen Landern immer wieder neu gefuhrt - auch das ist eine Gemeinsamkeit.
Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts entscheiden sich einige Lander wie Englande und Frankreich fur eine einheitliche Lehrerbildung. Roth schreibt dazu: «Volksschullehrerbildung spiegelt deshalb immer, was eine Gesellschaft von dem sogenannten ‘Volke‘ denkt und halt, wieweit Unterricht und Erziehung Herrschaftsausubung ist, wieweit die Beschrankung und Begrenzung der Information fur das Volk geht... oder wieweit sie Aufmunterung zur Teilhabe und Partizipation praktizieren will» (Roth, 1975, S. 824).
Die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg ist generell gekennzeichnet durch den Wiederaufbau - Volksbildung und «hohere» Bildung waren weiterhin unterschiedliche Ausbildungsstrange. «Vielfaltige MaBnahmen nationaler
Bildungspolitik stellen sich auf westeuropaischer Ebene als Veranderungen dar mit den Zielsetzungen, eine allgemeine Hoherqualifikation zu realisieren, die ,Chancengleichheit‘ des Zugangs zu den Bildungsinstitutionen zu schaffen, die Barrieren zwischen unterschiedlichen Schullaufbahnen aufzubauen» schreibt Winter (1980, S. 261) und er fahrt fort: «Dieser ProzeB, in den 60er Jahren eingeleitet, dauert an und trifft in der Gegenwart auf die verscharft restriktiven Bedingungen einer langfristigen Wirtschafts- und Gesellschaftskrise» (ebd. 262).
Die nationalen Gesellschaftssysteme konnen seit Kriegsende okonomisch und politisch als Subsyteme der Weltwirtschaft und Weltpolitik verstanden werden. Daher sind insbesondere die letzten Jahrzehnte durch einen bisher nicht dagewesenen Internationalisierungsprozess gekennzeichnet. Starker als bisher bedingen politisch-okonomische Veranderungen «wechselnde Machtkonstellationen innerhalb des internationalen Systems und damit in dialektischer Abhangigkeit nationale Entwicklungen» (Winter, 1980, s. 73). Die Schulentwicklung und die Lehrerbildung kann daher nicht mehr nur national betrachtet werden, denn die Tendenz geht zu einer Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit innerhalb Europas, um der Globalisierung Rechnung zu tragen. Der Bologna-Prozess, der bis 2010 die Schaffung eines einheitlichen europaischen Hochschulraums vorsieht, ist diesem Trend verpflichtet. Grunder bezeichnet ihn als «den folgenschwersten Wandel in der tertiaren Ausbildung seit zweihundert Jahren. Die Umstellung von Diplom und Lizentiat auf B.A. und M.A. kommt einer revolutionaren Umwalzung gleich. Revolutionen haben Vorteile und Nachteile» (2010, S. 338). Diese Vor- und Nachteile konnen an dieser Stelle nicht diskutiert werden. In allen Landern, die sich dem Bologna-Prozess angeschlossen haben, zeigt sich jedoch, dass damit die Reformen keineswegs abgeschlossen sind, sondern dass eine Reform die andere ablost. Ob sich dadurch die Lehrerausbildung verbessert, sei dahingestellt.
Vorteil ist jedoch die groBere Moglichkeit der Internationalisierung in Form von gegenseitiger Anerkennung der Leistungen in Doppelabschlussprogrammen, die Durchfuhrung von internationalen Projekten im Bereich der Curriculumentwicklung (s. TEMPUS-Projekte der EU) und des teilweise einfacheren Studentenaustauschs.
Der Europaische Qualifikationsrahmen (engl. EQF), eine Initiative der Europaischen Union, tragt dazu bei, Bildungsabschlusse vergleichbarer zu machen. Er definiert eine Reihe von Bildungsniveaus, bezogen auf Kenntisse, Fertigkeiten und Kompetenzen. Diese unverbindliche Empfehlung wurde 2008 vom Europaischen Parlament beschlossen. Dies ist ein weiterer Schritt in die Richtung einer europaischen Vereinheitlichung der Lehrerbildung und einer groBeren Vergleichbarkeit der Ausbildungssysteme.
Schlussbemerkung
«Aufklarung im Sinne Kants, als Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmundigkeit, Liberalismus und Rechtsstaat, die burgerliche Bewegung zur Freiheit
und zur Nation hin, die Revolution von 1848 und die industrielle Revolution, Kapitalismus und Arbeiterbewegung, die Entwicklung der Wissenschaft und Kunst: Das alles war europaisch ebenso wie deutsch. Was ,Bildung‘ einmal meinte, war im Ursprung ohnehin europaisch oder vielmehr und ganz entschieden weltburgerlich angelegt» schreibt von Krockow (1990, S. 106).
Das Vorhergehende hat viele Gemeinsamkeiten westeuropaischer Lehrerbildung gezeigt wie auch nationale Unterschiede. Eine Bemerkung sei jedoch am Schluss gestattet, die einen Aspekt aufgreift, der bisher nicht erwahnt wurde: die Lehrerpersonlichkeit selbst. Letztlich kommt es auf die Lehrerpersonlichkeit an, auf ihre Befahigung, das Beste in den Kindern zu wecken und sie zu ihren personlichen Hochstleistungen zu fuhren und das ist nur zu einem Teil abhangig von Ausbildungssystem und Land. Sandfuchs schreibt zwar vollig richtig: «Bis heute ist die Entwicklung der Lehrerbildung bestimmt von der gesellschaftlichen Einstellung zur Bedeutung von Schulbildung und Lehrberuf, dem Wechsel von Uberfullungs -und Mangelkrisen im Lehrerberuf, den okonomischen Bedingungen sowie politischen und weltanschaulichen Positionen und Uberzeugungen. Sie ist zudem gekennzeichnet durch eine zuweilen nur vorgrundig sachliche Diskussion, hinter der bildungspolitische Vorbehalte, finanzelle Erwagungen und Interessen von Statusgruppen verborgen werden» (Sandfuchs, 2012, S. 62). Doch auch wenn die je nationale Bildungspolitik die Reformen vorgibt, so ist doch der Lehrer nicht willenloses Instrument. Er kann «fur eine allseitige Entwicklung der menschlichen Personlichkeit und den gesamt gesellschaftlichen Fortschritt tatig sein und verhindern, daB aus der reformierten Schule eine formierte wird» (Winter, 1980, S. 263).
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