УДК 81'25
М. Форстнер
профессор, д-р Университета имени Иоганна Гутенберга, Майнц; Генеральный секретарь CIUTI; e-mail: forstner@uni-mainz.de
К ВОПРОСУ О СПЕЦИАЛЬНОЙ ТЕРМИНОЛОГИИ В ЮРИДИЧЕСКОМ ПЕРЕВОДЕ1
Язык юриспруденции исторически связан с соответствующей правовой системой. По этой причине единообразной универсальной терминологии не существует, что представляет собой основную трудность при переводе текстов юридической тематики. Как показано в предлагаемой статье, глобальный специальный язык юриспруденции представляет собой лишь фрагментарное образование. В конце статьи приводятся примеры из арабского языкового ареала, наглядно демонстрирующие трудности, возникающие при переводе текстов из сферы брачного и семейного права.
Ключевые слова: язык юриспруденции; юридическая терминология; официально-деловой стиль; текст оригинала; текст перевода; непереводимость вследствие различий в правовой культуре; правовая система страны языка оригинала; правовая система страны языка перевода; функциональная эквивалентность.
Forstner M.
Prof. Dr. Martin Forstner Secretary General of CIUTI, University of Mainz / Gitersheim, Germany
Johannes Gutenberg-Universität Mainz Generalsekretär der CIUTI; e-mail: forstner@uni-mainz.de
ZUR FACHTERMINOLOGIE DER JURISTISCHEN ÜBERSETZUNG
Aufgrund der historisch begründeten Systemgebundenheit der Rechtssprachen gibt es keine universell einheitliche Terminologie, was die Hauptschwierigkeit beim Übersetzen juristischer Texte ausmacht. Eine globale Fachsprache gibt es in der Rechtssprache nur ansatzweise, worauf im Beitrag eingegangen wird. Am Ende werden Beispiele aus der arabischen Welt angeführt, die besondere Probleme beim Übersetzen der arabischen Texte aus dem Bereich des Ehe- und Familienrechts veranschaulichen.
Schlüsselwörter Rechtssprache; juristische Terminologe; der juristische Stil; Ausgangstext; Zieltext; rechtskulturelle Unübersetzbarkeit; Ausgangs- und Zielrechtssystem; funktionale Äquivalenz.
1 Статья публикуется в авторской редакции.
In jeder Sprachgemeinschaft gibt es den Gegensatz zwischen Allgemeinsprache und Fachsprachen, wobei j edes Mitglied aufgrund seiner beruflichen Bezugsgruppen über ein fachsprachliches Inventar - sei es als Lehrer, Bäcker, Frisör, Kraftfahrzeugmechaniker, Fußballspieler, Ingenieur, Anwalt oder Arzt - verfügt, das ihn mit besonderen Personengruppen verbindet. Dabei ist es häufig so, dass jeder Sprecher je nach Neigung, Bildungsstand und Berufszugehörigkeit, aber auch Notwendigkeit, sich situationsbedingt mehrerer Fachsprachen bedient. Diese Fachsprachen dienen der leichteren Kommunikation zwischen den jeweiligen Experten, wie es schon in früheren Jahrhunderten bei den in Zünften organisierten Handwerkern und Baumeistern der Fall war, die ihre eigene Terminologie hatten und diese auch schützten vor Unbefugten, die nicht ihrer Zunft angehörten. Mit der zunehmenden beruflichen Spezialisierung ist in unseren Gesellschaften in den letzten Jahrhunderten auch die Zahl der Fachsprachen immer größer geworden, nicht zuletzt in den die immer zahlreicher gewordenen wissenschaftlichen Disziplinen.
Fachsprachen in den harten und den weichen Wissenschaften
In unserer heutigen vernetzten Welt gibt es in vielen Bereichen eine ausgearbeitete Terminologie, doch zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass wir hier differenzieren müssen. In den sog. „harten Wissenschaften" (hard sciences) wie Mathematik und in den Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie, Technologie), aber auch in der Medizin und Pharmakologie haben sich international codierte Terminologien etabliert, die sich in allen Weltsprachen wiederfinden, so in Englisch, Französisch, Deutsch, Russisch, ja sogar Chinesisch und Arabisch.
Bei medizinischen Fachübersetzungen kann ein Übersetzer davon ausgehen, dass der Verfasser des Originaltextes und der Leser der Übersetzung ein und derselben Kommunikationsgemeinschaft angehören, nämlich der Gemeinschaft der Ärzte, die das Fach studiert haben und die sich dadurch eine Terminologie angeeignet haben, auf dem universalen Bestand der bei allen Menschen gleichen Anatomie und des Stoffwechsels ihrer Organe beruht. In solchen medizinisch objektiven Bereichen sind die Inhalte der Übersetzung in allen Ländern der Welt identisch und brauchen lediglich in einer anderen Sprache ausgedrückt zu werden.
Anders sieht es aus in den „weichen Wissenschaften" (soft sciences), so in den Geisteswissenschaften, den Lebenswissenschaften (wozu man
Вестник МГЛУ. Выпуск 14 (725) / 2015
heute auch die Psychologie und Soziologie und Linguistik zählt), und in den Politikwissenschaften. Hier ist die Fachsprache nicht immer fest geregelt, denn diese Fächer haben sich erst in den letzten zwei Jahrhunderten voll herausgebildet, selbst wenn in vielen Bereichen sich eine Fachsprache durchzusetzen beginnt, wobei das Englische immer mehr an Einfluss gewonnen hat.
In der Politikwissenschaft und im Internationalen Recht haben sich zwar gewisse Termini verbreitet, doch sehr oft ist ihr Inhalt recht unterschiedlich konnotiert, wie die Beispiele Demokratie, Wahlen, Mitbestimmung, Good Governance und Intervention zeigen, ganz zu schweigen vom Bereich der Menschenrechte, die in den Konventionen der Vereinten Nationen vorliegen und die von den meisten Staaten auch anerkannt sind, deren Inhalte aber noch immer unterschiedlich ausgelegt werden (so etwa von einigen arabischen Staaten, die zahlreiche Vorbehalte hinsichtlich der Religionsfreiheit machten [5, S. 490f.]. Trotz der Bemühungen der Vereinten Nationen und zahlreicher NGOs sind wir noch weit von einer einheitlichen Fachsprache entfernt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Europäische Union mit ihren 23 offiziellen Sprachen zumindest in Europa auf dem Weg zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprache ist. Nicht umsonst gibt es gerade in Europa Einrichtungen wie Termnet und andere Terminologie-Institute, die sich hier um eine Normierung bemühen.
Ist die Rechtssprache eine einheitliche Fachsprache?
Ganz besonders kompliziert ist die Lage im Bereich des Rechts, also der Welt des Rechtswesens mit seinen Gesetzen und Verordnungen, und den damit befassten Gerichts- und Verwaltungsorganen, die ja immer auf eine jahrhundertelange Entwicklung zurückblicken können und die entsprechend elaboriert sind. Selbst wenn es sich um Länder mit derselben Sprache handelt, ist die Terminologie, die sie verwenden, oft unterschiedlich, was deutlich wird im deutschsprachigen Raum, denn die juristische Terminologe der Staaten Deutschland, Österreich und der Schweiz unterscheidet sich durchaus.
Auch die Terminologie im anglophonen Raum mit seinem anglo-amerikanischen Common Law System ist oft recht unterschiedlich, so zwischen England, den USA und Canada [vgl. 2, S. 190].
Aufgrund dieser historisch begründeten Systemgebundenheit der Rechtssprachen, womit sich die Disziplin der Rechtsvergleichung befasst [7], gibt es keine universell einheitliche Terminologie, was
die Hauptschwierigkeit beim Übersetzen juristischer Texte ausmacht. Natürlich gibt es Sonderfälle, wie das Übersetzen von Texten innerhalb des Rechtssystems eines offiziell multilingualen Landes, etwa der Schweiz und Belgiens, oder im Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union, deren Rechtstexte in 23 offiziellen Sprachen veröffentlicht werden, was zu einer umfassenden Sammlung von Paralleltexten geführt hat, die den Übersetzern als Corpora zugänglich sind, was die Arbeit sehr erleichtern kann. Hier handelt es sich in der Tat nur um einen Wechsel der Sprache innerhalb eines Rechtssystems, welch letzteres eben schweizerisch oder belgisch oder unionseuropäisch ist.
Es ist also zunächst festzuhalten, dass es, anders als in den hard sciences, in den soft sciences nur ansatzweise eine globale Fachsprache gibt, was besonders auffällt in der Rechtssprache, worauf ich nunmehr eingehen möchte, wobei ich dann am Ende Beispiele aus der Arabischen Welt geben werde, da dort im Bereich des Ehe- und Familienrechts besondere Probleme beim Übersetzen aus dem Arabischen auftreten können.
"Rechtssprache" ist die Sprache der Juristen
Beim juristischen Übersetzen geht es um die Umsetzung von Begriffen der Rechtssprache eines Rechtssystems in die Rechtssprache eines anderen Rechtssystems. Dabei sei unter Rechtssprache die Fachsprache verstanden, in der die Gesetze, die Regeln der Rechtsdogmatik und sonstige juristische Texte tatsächlich formuliert werden, und zwar als fachsprachliche Texte innerhalb des gesamten Sprachensystems einer Sprachgemeinschaft, wie gerade dargelegt.
Die Rechtssprache ist also, wie Schmidt-König in ihrem allen Rechtsübersetzern zu empfehlenden Buch Die Problematik der Übersetzung juristischer Terminologie feststellte, die Sprache der Juristen mit ihren besonderen Fachausdrücken, die als solche alle Termini enthalte, die eine oder mehrere juristische Bedeutungen besitzen. Hinzu komme, dass die Juristen dabei einen besonderen sprachlichen Stil pflegten, der sich deutlich von der Alltagssprache unterscheide [9, S. 4].
Während des Studiums der Rechtswissenschaft an den Universitäten aller Staaten müssen deshalb die Studierenden bereits vom ersten Tag an lernen, sich diese besondere Ausdrucksweise der Juristen mit ihrem Fachvokabular samt dem dazugehörigen Habitus anzueignen, was sie dann später als Richter, als Beamte in der Rechtspflege und als Anwälte
usw. in die Lage versetzt, sich an der juristischen Kommunikation in dieser besonderen Berufswelt erfolgreich zu beteiligen.
Die beiden Hauptkomponenten der jeweiligen Rechtssprachen sind also die juristische Terminologie und der juristische Stil. Der Übersetzer muss notwendigerweise zum einen gute juristische Kenntnisse haben bezüglich des ausgangssprachlichen Rechtssystems und des dort verwendeten juristischen Stils, als auch des zielsprachlichen Rechtssystems und dessen juristischer Ausdrucksweise. Die juristische Übersetzung besteht demnach zunächst im Umsetzen der juristischen Begriffe aus dem ausgangsprachlichen Sprachinventar in das Zielrechtssystem mit dessen Sprachinventar.
Gleichzeitig liegt aber auch ein Wechsel der Kommunikationsgemeinschaft vor. Das bedeutet, wie Schmidt-König darlegte, dass der Leser des juristischen Originaltextes und der Leser der Übersetzung nicht über die gleichen Hintergrundinformationen über das Thema verfügen und dass diese Tatsache ihr jeweiliges Verständnis des Textes oftmals nicht unerheblich beeinflusse, da es sich nicht nur um einen Wechsel der Rechtssprache, sondern vielmehr auch um einen Wechsel des Rechtssystems und dessen Kultur handele, und weil der Leser der Übersetzung oftmals nur über Kenntnisse seines eigenen Rechts und seiner eigenen Rechtskultur verfüge [9, S. 114].
Die Rechtssprache hat die rechtliche Information als Zweck
Die Rechtssprache ist außerdem von ihrer Zweckbestimmtheit geprägt, denn juristische Texte haben in der Regel eine hohe Verbindlichkeit, wie Schmidt-König darlegte, was beim Übersetzen derselben eine große Genauigkeit und Texttreue erforderlich mache [9, S. 121].
Dabei lassen sich drei Kategorien von Textsorten unterscheiden:
Die erste Kategorie umfasst Rechtstexte, die Rechtsnormen zur Information ihrer Staatsbürger enthalten (etwa Verfassungen, Gesetze, Verordnungen etc.), aber auch völkerrechtliche Verträge sowie andere sogenannte „instruktionelle" Texte (Verträge, Satzungen etc.).
Die zweite Kategorie enthält alle rechtverbindlichen Entscheidungen der Rechtspflege und der Rechtsanwendung wie etwa Gerichtsurteile, Entscheidungen der Verwaltung, etc. Diese beiden Kategorien sind rechtverbindlich und dementsprechend ist besondere Vorsicht bei der Übersetzung geboten.
Die dritte Kategorie umfasst Abhandlungen der juristischen Literatur, also Texte der Rechtswissenschaft und der Rechtsphilosophie. Diese sind nicht rechtsverbindlich, sondern es sind lediglich Texte, die über das Recht schreiben. Im Hinblick auf die juristische Terminologie sind diese Texte jedoch auch relevant, da sie diese Terminologie ja verwenden und zur Schaffung derselben beitragen, wie Schmidt-König unterstreicht
[9, S. 121].
Die juristische Übersetzung kann somit als die „Übertragung und Vermittlung von Rechtsvorschriften bzw. Rechtsinhalten und im weitesten Sinn von rechtlicher Information" definiert werden [8, S. 15].
Es ist aber festzuhalten, dass der Umstand, dass wir juristisches Übersetzen als Wechsel der Sprache und Kommunikationsgemeinschaft definieren, zwangsläufig zur Unmöglichkeit einer absoluten Gleichheit von unterschiedlichen Begriffen aus zwei Ländern führt.
Der Ausgangstext darf nicht geändert werden
Mit Recht hebt Schmidt-König hervor, dass dem Prinzip des Verbots einer Änderung des Ausgangstextes bei der juristischen Übersetzung ein besonderer Stellenwert zukomme. Die herrschende Meinung in Literatur und Praxis vertrete das Verbot einer Änderung des Inhalts des juristischen Ausgangstextes, so dass der Übersetzer die Unklarheiten des Textes nicht beseitigen dürfe [9, S. 143].
Das Problem besteht darin, dass in den Texten von Gesetzen oder Verträgen oft Unklarheiten oder Zweideutigkeiten zu finden sind. Wir Übersetzter hassen Zweideutigkeiten und haben einen tief in uns verwurzelten Hang, eindeutig sein zu wollen, denn wir wollen ja den Sinn eines Textes herausfinden und dann übersetzen. Sehr oft tritt dann die Situation ein, dass wir beim Auftraggeber der Übersetzung nachfragen müssen, ob die in unseren Augen bestehende Zweideutigkeit in einem Vertrag durch eine Änderung des ausgangssprachlichen Vertragstextes nicht beseitigt werden sollte. Nicht selten erfahren wir dann, dass es sich um eine gewollte Unklarheit handele, die Interpretationen zulässt, oder um eine beabsichtigte Zweideutigkeit, oder um eine absichtliche politische Unklarheit, ohne die ein Abkommen vielleicht gar nicht zustande gekommen wäre. Es bleibt uns dann nichts anderes übrig, als bei der Übersetzung ebenfalls eine solche Ungenauigkeit oder Zweideutigkeit im Zieltext zu produzieren.
Zweideutigkeiten und Unklarheiten sind oft deshalb beabsichtigt, weil sie den Vertragspartnern die Chance lassen, den Vertrag nach eigenen Wünschen zu interpretieren. Das heißt, dass wir diese Passagen in den Texten auch entsprechend unklar lassen sollen. Es ist hier keinesfalls die Aufgabe des Übersetzers, hier Klarheit zu schaffen, denn das ist die Aufgabe der Juristen, für die der Ausgangstext geschrieben wurde, aber auch der Juristen, für die eine Übersetzung hergestellt wird.
Das Problem der rechtskulturellen Unübersetzbarkeit
Es taucht immer wieder die Frage auf, ob es nicht rechtskulturelle Unterschiede gebe, die eine Übersetzung juristischer Texte unmöglich machen oder zumindest stark erschweren würden. In diesem Zusammenhang sei wieder Schmidt-König herangezogen, die darauf hinweist, dass die Schwierigkeit beim Übersetzen eines Textes nicht ausschließlich an einem fehlenden Terminus in der Zielsprache liegen könnte, sondern vielmehr an einem kulturellen Unterschied zwischen dem Ausgangs- und dem Zielrechtssystem [9, S. 213]. Eine solche Unübersetzbarkeit wäre etwa dann vorhanden, wenn im Zielrechtssystem ein Rechtsinstitut fehlt, das im Ausgangsrechtssystem vorhanden ist [vgl. 10, S. 38], was beispielsweise häufig vorkommt beim Übersetzen juristischer Texte aus dem Arabischen, wie unten anhand zweier Beispiele gezeigt werden wird.
Eine rechtskulturelle Unübersetzbarkeit liegt dann vor, wenn der Ausgangsbegriff im Ausgangstext dem anderssprachigen Juristen mit Hilfe der Zielsprache des Zielrechtssystems nicht richtig erklärt werden kann. Dabei ist relevant, wie nahe oder fern sich die betreffenden Rechtskulturen bzw. die Rechtskreise oder Rechtsfamilien sind, denn je weiter das Ausgangs- und das Zielrechtssystem auseinander liegen, umso deutlicher werde die Unübersetzbarkeit [1, S. 102f.].
Die Zugehörigkeit des französischen und des deutschen Rechts zum kontinentalen Rechtskreis erleichtert in diesem Sprachenpaar die Übersetzung der juristischen Terminologie enorm, während es bei einer Übersetzung beispielsweise zwischen dem englischen Rechtssystem und dem deutschen oder französischem Recht viel schwieriger werde, wie Schmidt-König ausführte [9, S. 216].
In diesem Zusammenhang sei festgestellt, dass der Umstand, dass etwa das Recht Ägyptens seit Mitte des 19. Jahrhunderts dank der Gemischten Gerichtshöfe (Tribunaux Mixtes) in Ägypten zutiefst vom kontinentalen
Recht (vor allem dem französischen und italienischen) beeinflusst worden ist, es heute erleichtert, im Bereich des Strafrechts [3, S. 25f.] und des Zivilrechtrechts für die Übersetzung äquivalente Termini zu finden, was übrigens auch für die anderen arabischen Staaten gilt, da die ägyptische Rechtswissenschaft alle anderen arabischen Rechtssystem im 20. Jahrhundert beeinflusste [3, S. 39f.].
Die Lage ist allerdings ganz anders im Bereich des Ehe- und Familienrechts, das noch immer zutiefst islamisch geprägt ist, weshalb es oft sehr schwierig wird, für die islamischen Rechtstermini eine Übersetzung ins Deutsche, Französische usw. zu finden, wofür wir im Folgenden dann zwei Beispiele geben wollen. Um es vorweg zu nehmen, die Gebundenheit an das islamisch-sunnitische System der juristischen Terminologie des Ehe- und Familienrechts führt dann zur Unmöglichkeit vollständigen Äquivalenz, jedoch nicht zur Unmöglichkeit einer juristischen Übersetzung überhaupt, wie zu zeigen sein wird.
Übernahme des Begriffs aus der Ausgangssprache
in die Zielsprache?
Eine Lösung könnte darin bestehen, dass wir beim Übersetzen den Begriff aus der Ausgangssprache in die Zielsprache einführen und ihn einfach übernehmen. Bei dieser Lösung wird der Ausgangsbegriff nicht übersetzt, sondern als solcher im Zieltext benutzt, möglicherweise unter gleichzeitigem Gebrauch von „Anführungszeichen" oder durch kursive Schreibweise, etwa bei einer Übersetzung aus dem Arabischen ins Deutsche, indem wir die Begriffe taläq oder sadäq / mahr verwenden, doch müssen wir ihre „Bedeutung" vorher in einer Fußnote dem deutschen Juristen erklären.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass wir für die genannten Begriffe taläq und sadäq eine deutsche Bezeichnung finden, die im deutschen System (noch) nicht verwendet wird, die aber für den deutschen Juristen sofort verständlich ist, ihn aber gleichzeitig darauf aufmerksam macht, dass es eine Institution ist, die seinem System fremd ist.
Es seien nunmehr zwei Beispiele gegeben aus dem Ehe- und Familienrecht der Arabischen Welt, deren diesbezüglichen Gesetze Fälle behandeln, die in den heutigen europäischen Ehe- und Familiengesetzen nicht vorkommen. Es wird dabei auf das Algerische Familiegesetz Bezug genommen, aber die Ausführungen gelten auch für alle anderen arabischen Rechtssysteme.
1. Beispiel
Algerisches Familiengesetz (Qänun al-Usra) art. 9: sadäq = Brautgeld
falsche Übersetzung: Mitgift (deutsch); dot (franz.); dota (ital.)
Die rechtlichen Regelungen in Algerien, Marokko, Libanon, Jordanien, Ägypten, usw. sehen vor, dass Teil des Ehevertrags das sog. Brautgeld (mahr, sadäq) ist, das der Mann, der mit der Frau bzw. deren Ehevormund (wall an-nikäh) einen Ehevertrag schließt, bezahlen muss. Dieser sadäq besteht aus einem Vermögenswert - heute zumeist in Form einer nicht unbeträchtlichen Summe Geldes. Nach den Regelungen der Scharia wird verlangt, dass die Höhe des Brautgeldes im Ehevertrag expressis verbis genannt wird (dazu Einzelheiten bei Forstner [4, 205f.]). Dieses Brautgeld geht dann in das Vermögen der Frau über, wobei hier anzufügen wäre, dass in der Scharia Gütertrennung zwischen Ehemann und Ehefrau besteht, weshalb die Frau über ihr Vermögen allein und selbst verfügen kann (jedenfalls in der Theorie).
Wie ist nun der Begriff sadäq / mahr zu übersetzen? Sehr häufig wird er im deutschen Sprachraum mit „Mitgift", im französischen Sprachraum mit „dot", im italienischen mit „dota" übersetzt, was aber alles leider falsch ist.
Mitgift bzw. dot bzw. dota (russ. pridanoe) war in der Vergangenheit im europäischen System ein Vermögenswert, den die Frau mit in die Ehe brachte und der dann in die Hand des Mannes überging. Im deutschen Recht ist heute Mitgift eine Ausstattung, die einer Frau anlässlich ihrer Eheschließung von ihren Eltern zugewendet wird. Es ist also genau das Gegenteil dessen, was das islamische Brautgeld ausmacht! Das Problem wird noch dadurch größer, dass in den offiziellen Übersetzungen der Ehegesetze durch die jeweiligen Justizministerien in Algerien, Marokko und Libanon, sadäq auf Französisch mit „dot" übersetzt wird.
Dank unserer Bemühungen durch zahlreiche Veröffentlichungen ist es gelungen, den deutschen Juristen die Sachlage klar zu machen, weshalb sich in Deutschland die Übersetzung „Brautgeld' für sadäq / mahr durchgesetzt hat. Allerdings haben viele professionelle Übersetzer in Deutschland dies noch nicht erkannt; sie verwenden immer noch „Mitgift", was aber falsch ist.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Haltung der muslimischen Interessenverbände in Deutschland, die dieses Wort „Brautgeld" nicht
verwendet sehen möchten, da sie meinen, dadurch werde der Eindruck erweckt, im islamischen Recht werde die Frau vom Mann gekauft, was natürlich nicht der Fall ist [vgl. 4, S. 205].
2. Beispiel
Algerisches Familiengesetz (Qânûn al-Usra) art. 48:
Talâq = Verstoßung
Falsche Übersetzung: Scheidung (deutsch); divorce (franz.)
Ein weiteres Beispiel wäre die Verstoßung (talâq), englisch répudiation,
französisch répudiation; italienisch ripudio.
Nach islamischem Recht steht das Recht auf Verstoßung nur dem Ehemann zu, denn er kann seine Frau jederzeit ohne Angabe von Gründen verstoßen (Einzelheiten bei Forstner 1987: 215). Dieses Recht hat nur der Mann, nicht die Frau.
Wenn eine Ehefrau aus einer bestehenden Ehe herauskommen will, muss sie andere Wege einschlagen. Sie muss dann Gründe angeben, weshalb sie das will, etwa dass der Ehemann sie körperlich misshandelt, oder dass er den Unterhalt für sie und die Kinder nicht bezahlt. Dann sehen die verschiedenen sunnitischen Rechtsschulen vor, dass sich die Frau an ein Gericht wendet, um die Angelegenheit überprüfen zu lassen. Bekommt die Frau Recht, so fordert der Richter den Ehemann auf, seine Frau zu verstoßen. Weigert sich der Ehemann, so kann der Richter eingreifen und eine Auflösung der Ehe herbeiführen. Wie gesagt, es ist nicht die Frau, die verstoßen kann.
Schließlich gibt es noch einen Weg für eine Ehefrau, aus einer Ehe herauszukommen. Dieser Weg, genannt hul' bzw. muhâla'a („Selbstloskauf '), besteht darin, dass die Frau ihrem Mann das Angebot macht, das Braugeld, das er für sie bei der Eheschließung bezahlt hat, zurückzuerhalten, und vielleicht sogar noch etwas mehr, damit er sie verstößt [4, S. 216f.]. Auch hier ist es nicht die Frau, die verstößt, sondern ihr Mann!
Bekanntlich gestatten alle arabischen Staaten außer Tunesien, dass ein Mann gleichzeitig mit bis zu vier Frauen verheiratet ist. In heutigen Eheverträgen findet sich oft die Stipulation, dass der Ehemann keine zweite, dritte oder vierte Ehefrau heiratet, wenn die erste Ehefrau dagegen ist. Dann findet sich die Vertragsbedingung, dass der Mann in diesem Fall sich verpflichtet, der Frau das Recht zu übertragen, in seinem Namen (!)
den taläq auszusprechen! In seinem Namen (!), denn rein juristisch ist es der Mann, der den taläq vornimmt.
Aus allem wird klar, dass taläq eine islamisches Rechtsinstitut sui generis ist, welches es in den europäischen Rechtsordnungen nicht gibt, weshalb nur eine Übersetzung durch „Verstoßung" angebracht ist.
Nun findet sich aber in vielen Übersetzungen von Eheauflösungsurteilen und den sie begleitenden Dokumenten als deutsche Übersetzung „Scheidung" (bzw. englisch divorce; französisch divorce; italienisch divorzio; russisch razvod).
Dies ist natürlich falsch, denn in den europäischen Rechtssystemen ist die Scheidung ein Recht, das sowohl von der Frau als auch vom Mann in Anspruch genommen werden kann. Beide haben das Recht, eine Scheidung einzuleiten und dies vom Gericht zu verlangen, nicht etwa nur der Mann. Die Angelegenheit wird vor allem auch dadurch erschwert, dass in den offiziellen Übersetzungen der Ehegesetze in Algerien, Marokko und Libanon, taläq auf Französisch mit divorce übersetzt wird.
Mittlerweile ist es zumindest in Deutschland gelungen, die Gerichte und Anwälte dafür zu sensibilisieren, dass taläq keine Scheidung ist, und dass man für diesen Vorgang die Bezeichnung „Verstoßung" verwenden sollte. Auf Seiten der muslimischen Interessenverbände in Deutschland wird das nicht so gesehen.
Sie möchten das Wort „Scheidung" verwenden, um auf diese Weise zu zeigen, dass der Islam der Frau die gleiche Möglichkeit biete, die Ehe zu beenden, wie dem Mann. Diese Verhaltensweise könnte in der Translationstheorie mit Hilfe der sog. Funktionalen Äquivalenz erklärt und gerechtfertigt werden
Bietet die funktionale Äquivalenz eine Lösung?
Nach dieser Theorie soll der im Ausgangstext verwendete Ausgangsbegriff übersetzt werden mit einem Begriff der Zielsprache, der dort lediglich eine ähnliche Funktion hat wie der Ausgangsbegriff [9, S. 184]. Diese funktionale Äquivalenz falle unter die „Skopostheorie", für die das Übersetzen eine zielgerichtete Handlung sei, für deren erfolgreiche Realisierung die Orientierung auf den Zweck (Skopos) das oberste Kriterium sei [6, S. 9]. Aber, so die Kritik, die Schmidt-König vorbringt, die funktionale Äquivalenz biete nur einen Übersetzungsvorschlag, der eine ähnliche Funktion - und meist nicht die gleiche Funktion - wie
die im Ausgangsbegriff besitze. Auch im funktionalen Bereich sei diese Übereinstimmung meist nicht vollständig und die Wiedergabe deshalb nur annähernd bis fehlerhaft möglich. Diese Ungenauigkeit sei als latente Eigenschaft der funktionalen Äquivalenz zu verstehen, wie Schmidt-König meint [9, S. 186].
Ein schönes Beispiel für eine Anwendung dieser funktionalen Äquivalenz wäre der Begriff taläq, der natürlich eine Auflösung der Ehe als Funktion hat (nämlich dadurch, dass der Mann seine Frau verstößt), was dann von den Vertretern der Skopos-Theorie in den Mittelpunkt gestellt würde und weshalb sie Scheidung vorschlagen, da diese als Funktion und Folge ja auch die Eheauflösung bewirke.
Dagegen ist zu sagen, wie es auch Schmidt-König tut, dass dies eine Ungenauigkeit zur Folge hätte. Solange wir, wie oben dargelegt, der korrekten Inhaltswiedergabe bei der juristischen Übersetzung oberste Priorität einräumen, ist die funktionale Äquivalenz abzulehnen, da sie per se nicht die vollständige juristische Wirklichkeit des Originaltextes übertragen kann [9, S. 191].
Translationstheoretische Betrachtung
Unsere Argumentation geht in die Richtung, dass bei derartigen juristischen Übersetzungen eine dokumentarische Übersetzungsstrategie zu befolgen ist, bei der der Ausgangstext maßgeblich ist und erhalten bleiben soll.
Die islam-rechtlichen Begriffe taläq mit „ Verstoßung" und sadäq / mahr mit „Brautgeld' zu übersetzen, wie wir vertreten, ist eine dokumentarische Übersetzung (documentary translation), bei der das Dokument als solches in seinem ursprünglichen kulturellen und kommunikativen Umfeld beheimatet bleibt, es aber in einer anderen Spreche, etwa Deutsch, vorgelegt wird, um den deutschen Richter oder Anwalt oder eine deutsche Behörde zu informieren über die Rechtslage im Land des Ausgangstextes.
Die Verwendungen der deutschen Bezeichnungen „Verstoßung" für taläq (statt fälschlich „Scheidung") und „Brautgeld" für sadäq (statt fälschlich „Mitgift") werden dann gerade die deutschen Juristen darauf aufmerksam machen, dass es sich um Rechtsinstitutionen handelt, die im deutschen System nicht vorkommen, was sie dann entsprechend in ihrer Urteilsfndung oder ihrer anwaltlichen Argumentation als deutsche Juristen berücksichtigen müssen.
Aus translationswissenschaftlicher Sicht handelt es sich hingegen beim Verlangen der muslimischen Interessenvertreter um die Strategie der rezipienten-orientierten Übersetzung, wodurch man den Leser (Rezipienten) im Sinn des Islams beeinflussen möchte. Anders gesagt, es handelt sich um eine instrumentale Übersetzung (instrumental translation), wodurch ein völlig neuer Text entsteht, der den Leser in eine bestimmte Richtung beeinflussen möchte, nämlich zu glauben, taläq sei eine Scheidung und sadäq / mahr sei Mitgift, wie es in seinem europäischen Umfeld völlig normal wäre gebe. Wenn man sich dieses Verfahrens bei der juristischen Übersetzung bedienen würde, dann nimmt man in Kauf, dass die deutschen Juristen falsch informiert werden, was aber dem Zweck einer juristischen Übersetzung widerspricht.
LITERATURVERZEICHNIS
1. Berteloot P. Der Rahmen juristischer Übersetzungen // de Groot G.-R. / Schulze, Reiner (Hrsg.): Recht und Übersetzung. - Baden-Baden, 1999. -S. 101-113.
2. Cao D. Translating Law. - Clevedon, 2007.
3. Forstner M. Der Allgemeine Teil des ägyptischen Strafrechts. - Baden-Baden, 1986.
4. Forstner M. Das neue algerische Ehe- und Kindschafsrecht - Gesetz und soziale Wirklichkeit // Das Standesamt. - 1987. - S. 197-221; 237-249.
5. Forstner M. Menschenrechte zwischen Geltungsuniversalität und Inhalts-partikularität - ein Problem für den Islam in Europa? // Pahud de Mortanges R., Tanner E. (Hrsg). Muslime und schweizerische Rechtsordnung. - Freiburg (Schweiz) : Universitätsverlag, 2002. - S. 479-528.
6. Nord Ch. Einführung in das funktionale Übersetzen. - Tübingen, 1993.
7. Sacco R. Einführung in die Rechtsvergleichung. - Baden-Baden, 2011.
8. Sandrini P. (Hrsg.). Übersetzen von Rechtstexten. Fachkommunikation im Spannungsfeld zwischen Rechtsordnung und Sprache. - Tübingen, 1999.
9. Schmidt-König Ch. Die Problematik der Übersetzung juristischer Terminologie. Eine systematische Darstellung am Beispiel der deutschen und französischen Rechtssprache. - Münster, 2005.
10. Weisflog W. E. Rechtsvergleichung und juristische Übersetzung. - Zürich, 1996.