HORIZON 5 (2) 2016 : I. Research : R. Strobl : 200-225
ФЕНОМЕНОЛОГИЧЕСКИЕ ИССЛЕДОВАНИЯ • STUDIES IN PHENOMENOLOGY • STUDIEN ZUR PHÄNOMENOLOGIE • ÉTUDES PHÉNOMÉNOLOGIQUES
DOI : 10.18199/2226-5260-2016-5-2-200-225
FALLDARSTELLUNG ÜBER EINE DASEINSANALYTISCHE BEHANDLUNG EINER SCHIZO-AFFEKTIV ERKRANKTEN
ROLAND STROBL
MA in Psychology, Outside Lecturer.
President of the Daseinsanalytical Institute of Vienna, 1090 Vienna, Austria. E-mail: roland.strobl@daseinsanalyse.at
CASE STUDY ON DASEINSANALYTICAL TREATMENT OF SCHIZOAFFECTIVE DISORDER
In this case study I want to show the development during Daseinsanalysis of a woman suffering from a long term schizoaffective disorder. After three attempts to start and remain in therapy, and following eleven inpatient admissions to different psychiatric hospitals, it seems, that the phenomenological approach of Daseinsanalysis has helped her continue and, over time, she has been able to find a better way of coming closer to the aim which has been most requested of her until now - of becoming lively - but without it resulting in a psychiatric hospital admission. Firstly I will attempt to give an overview of my patient's history, including my first encounter with her: a public help desk for working assistance for psychiatric patients in 2001, and then, soon after, as she started Daseinsanalysis in my private practice. She discontinued the therapy on account of not being able to cope with difficult feelings arising from having fallen in love with me, her analyst. I could not respond in the way she expected me to. That was the first break in our therapeutic relationship and another one was to follow two years later, when she came closer for the second time. It was my mistake as her therapist, to interfere as her father had done. She told me during one of those sessions that this was her experience and this prompted the second break. And now, since 2013, our relationship seems strong enough to continue and to come closer together to her first aim. The core question in my case study as an example from the practice in Daseinsanalysis is: how is it possible for the therapist to find the right balance in his or her approach between abstinence, through which patients can find enough space to develop freely and the naturally occurring possibilities in every relationship, which make people and their relationships lively?
Key words: Schizoaffektive disorder, Daseinsanalyst, Erschlossenheit, phenomenological method, psychiatry, hallucinations, Geworfenheit, Ek-sistenz.
© ROLAND STROBL, 2016
ИССЛЕДОВАНИЕ СЛУЧАЯ DASEIN-АНАЛИТИЧЕСКОГО ЛЕЧЕНИЯ ШИЗОАФФЕКТИВНОГО РАССТРОЙСТВА
РОЛАНД ШТРОБЛ
Магистр психологии, приват-доцент.
Президент Института Dasein-анализа, 1090 Вена, Австрия. E-mail: roland.strobl@daseinsanalyse.at
В этом исследовании я хочу показать прогресс, произошедший в ходе проведения Dasein-анализа с женщиной, долгое время страдающей от шизоаффективного расстройства. После трех попыток начать и продолжить терапию и одиннадцати случаев попадания в различные стационарные психиатрические клиники кажется, что феноменологический подход, основанный на Dasein-анализе, помог ей продолжить лечение, и со временем она оказалась способна найти более удачный путь для достижения той цели, которая наиболее актуальна для нее до сего дня - вернуться к жизни, но уже без пребывания в психиатрических клиниках. Прежде всего, я попытаюсь дать обзор истории моей пациентки, включая мое первое с ней знакомство: сначала в службе общественной помощи для психиатрических пациентов в 2001 г., а затем, вскоре после этого, когда она начала получать Dasein-аналитическую помощь, и в моей частной практике. Она прекращала терапию, поскольку была неспособна справиться со сложными чувствами, которые возникли у нее по отношеню ко мне, своему аналитику. Я не мог ответить ей на ее ожидания. Это был первый разрыв в наших терапевтических отношениях, второй случился двумя годами позднее, когда она вернулась к терапии. Моей ошибкой в качестве ее терапевта было то, что я вмешивался в ее жизнь так, как это делал ее отец. В течение одной из тех сессий она говорила мне, что именно это спровоцировало второй разрыв. Сейчас же, начиная с 2013 г., наши отношения, как кажется, являются достаточно крепкими, чтобы продолжаться и приближать ее к ее главной цели. Центральный вопрос в моем исследовании этого случая как примера из Dasein-аналитической практики состоит в следующем: возможно ли для терапевта найти правильный баланс в его (ее) подходе между сдержанностью, благодаря которой пациенты могут найти достаточно пространства для свободных маневров, и естественными возможностями любых отношений, которые делают живыми людей и их взаимоотношения?
Ключевые слова: Шизоаффективное расстройство, Dasein-аналитизатор, разомкнутость, феноменологический метод, психиатрия, галлюцинация, брошенность, эк-зистенция.
Denn der Weg zum Nahen ist für uns Menschen jederzeit der weiteste und darum schwerste.
Martin Heidegger, Gelassenheit
ÜBERSICHT
Die Patientin wird 1968 als erstes von drei Kindern geboren. Ihre um 2 Jahre jüngere Schwester war Leiterin einer Erziehungseinrichtung und wurde vor
kurzem wegen Auffälligkeiten dieser Führungsposition enthoben und steht vor dem Nervenzusammenbruch. Der um 5 Jahre jüngere Bruder leitet ein Unternehmen, und landete vor wenigen Monaten mit Burnout beim Psychiater und im Krankenstand. D. hat noch eine jüngere Stiefschwester und einen jüngeren Stiefbruder, beide väterlicherseits. Ihr Vater verließ die Familie, als sie 2 Jahre alt war und kam zurück als sie 14 war. Es sei eine schreckliche Zeit gewesen: Auch wenn der Vater nicht mehr zu Hause wohnte, kam er immer wieder vorbei und alle, auch die Mutter, hatten Angst vor ihm - er war sehr streng. Später fuhr man dann mit der Parallelfamilie des Vaters gemeinsam auf Urlaub.
Als die Patientin das Licht der Welt erblickt, sind ihre Eltern beide 21 Jahre alt. Aus Sicht der Patientin passen die beiden schlecht zusammen; von einem liebevollen Umgang war und ist nichts zu bemerken, ganz im Gegenteil dominiert ihr Vater seine Ehefrau heute wie damals vollkommen.
Von Anfang an ist D. ein braves Kind, eine Vorzugsschülerin und absolviert die Reifeprüfung mit Auszeichnung. Sie singt im Chor, spielt Flöte in einer Musikkapelle, wo sie auch ihren ersten Freund kennenlernt, mit dem sie eine gemeinsame Zukunft und ein Haus plant, in das sie gemeinsam einziehen. Ihr bis dahin recht großer Freundeskreis wird zugunsten der neuen Beziehung aufgegeben, da sie sich ab jetzt ausschließlich ihrem neuen Partner widmen wird. Achteinhalb Jahre später kommt es zur Trennung - es war "die Stunde meiner eigentlichen Geburt" - wird sie später in der Analyse sagen, denn die damalige Annahme, dass sie ausschließlich mit Haushalt und Familie alt werden sollte, sei unerträglich gewesen. Ihre Eltern sind mit dieser Entscheidung nicht einverstanden und unterstützen den verlassenen Freund, aber nicht ihre eigene Tochter. D. ist erschüttert, fühlt sich unverstanden und im Stich gelassen. Dann geht es steil bergab: Starke anhaltende Konzentrationsstörungen und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz führen über den Hausarzt zum Psychiater; eine larvierte Depression wird festgestellt und erstmalig ein Antidepressivum verordnet.
Die Beziehung zu den Eltern wird D. im Verlauf der Therapie immer wieder mit unterschiedlichen Nuancen, als gespannt und unangenehm zum Vater und als belanglos zur Mutter beschreiben. Die Mutter komme mit jedem, der Vater mit niemanden gut aus. Ihr Bruder habe für sie keinen Platz und höre nie zu. Mit ihrer Schwester sei es etwas besser, zu den Stiefgeschwistern besteht kein Kontakt.
Nach der Matura arbeitet D. bis zum 26. Lebensjahr im Rechnungswesen einer Bank. Geringe Aufstiegschancen und eine zunehmend schwierige Beziehung zu einer Vorgesetzten lassen D. kündigen und sie findet in einem Tochterunternehmen
neue Aufgaben. War sie es bisher gewohnt, alleine und eigenverantwortlich zu arbeiten, sollte sie ab jetzt ein Team leiten: Erfolg und Zufriedenheit bleiben aus und nach 2 "Durchhaltejahren" kündigt sie schließlich, beendet damit 1996 ihre Berufslaufbahn. Aus psychischen Gründen kommt sie zunächst in befristeten, später in unbefristeten Ruhestand. Aus heutiger Sicht seien unangemessene Erwartungen an den Dienstgeber (voller Lohn für halbe Arbeitszeit) ausschlaggebend gewesen und sie hätte wohl damals schon einen "Knacks" gehabt. Ein Jahr vor Kündigung lernt D. einen Arbeitskollegen, ihren späteren Mann und Vater ihres Sohnes kennen. In ihrer ersten Schwangerschaft erlebt sie in der 6. Woche eine Fehlgeburt. Bald darauf kommt es zur zweiten Schwangerschaft und 1997 bringt sie einen Sohn gesund zur Welt. Das Eheleben wird ihr schon bald zu eng - ihr Mann habe sich jegliche, sie selbst gar keine Freiheiten genommen und nach 3 Jahren lässt sie sich scheiden.
Im Frühjahr 2000 kommt es zu einem heftigen Streit mit ihrem geschiedenen Mann. Sie bittet ihren Vater um Hilfe. Sie ist überzeugt, dass sowohl sie, als auch ihr Sohn an Aids erkrankt seien und dass generationenübergreifender Missbrauch für die schlechten Beziehungen innerhalb der Familie verantwortlich sei. D. droht mit Suizid und lässt sich zu ihrem ersten 14tägigen psychiatrischen Aufenthalt überreden. Die Erstdiagnose lautet "akute polymorphe Psychose", später "schizo-affektive Störung". Im Anschluss an diese Zeit verliert sie das Sorgerecht für ihren Sohn. 10 weitere stationäre Aufenthalte folgen bis zum vorläufig letzten Mal im Dezember 2013.
Meine erste Begegnung mit D. war 2001 in einer Beratungsstelle für berufliche Rehabilitation. In dieser Zeit wird gerade ihr Haus verkauft und sie übersiedelt für mehrere Jahre in das Gartenhaus der Eltern. Ein beruflicher Wiedereinstieg scheint noch außer Reichweite, aber eine daseinsanalytische Psychotherapie ist indiziert und wird begonnen. Sie wechselt von der Beratungsstelle in die psychotherapeutische Privatpraxis: Die erste Phase umfasst ungefähr ein Jahr mit 55 Sitzungen. Starke Verliebtheitsgefühle dem Therapeuten gegenüber, führen bei der Patientin zu starken Spannungen und einem Unwohlsein während der Sitzungen in dieser Phase. Ein offenes Gespräch darüber und ein Verweilen sind noch nicht möglich und D. sieht als einzigen Ausweg, sich dem Setting zu entziehen und die Therapie abzubrechen. Im Frühjahr 2003 kommt es nach mehreren Telefongesprächen und sms zur Wiederaufnahme der begonnenen Therapie. Nach insgesamt 78Sitzungen kommt es Ende 2003 erneut zu einem Abbruch: Der Therapeut hat sich zu stark eingemischt und sich in ähnlicher Weise, wie sonst nur ihr strenger Vater, verhalten. D. schreibt ihre Enttäuschung und Ängste in einen Abschiedsbrief und zieht sich bis 2008 zurück. Dann folgen drei klärende Gespräche und sie taucht wieder ab
bis Anfang 2013: aufgrund eines zufälligen freudigen Wiedersehens außerhalb der Praxis entschließt sie sich zur Wiederaufnahme der Psychotherapie.
Damit sind wir im Heute angelangt: Die Patientin kommt bis zum Frühjahr 2015 einmal und ab dann bis heute zweimal wöchentlich und liegt auf der Couch. Die Intensität nach insgesamt knapp 250 Sitzungen nimmt zu. Auch Schwieriges und Peinliches kann angesprochen und ausgehalten werden. D. lebt eigenständig mit einem Kater in einer Wohnung, abseits der Eltern.
GLIEDERUNG
I. Eine aktuelle Sitzung
II. Theoretische Einführung
III. Zur Vorgesch ichte
IV. Aus den Sitzungen
V. Rückblick und Ausblick
I. EINE AKTUELLE SITZUNG
Ich möchte meine Falldarstellung mit der letzten Sitzung vor wenigen Tagen beginnen, führe dann einige theoretische Überlegungen ein und komme dann zur eigentlichen Falldarstellung. Diese gliedert sich, wie im letzten Absatz der Zusammenfassung skizziert, in eine Vorgeschichte aus zwei Therapiephasen, die 2004 eine erste Falldarstellung ergaben. Der Hauptteil besteht aus der seit Anfang 2013 laufenden 3. Therapiephase, aus der die nun folgende Sitzung stammt:
Die Patientin kommt mit dem Vorsatz sehr genau auf ihre Einfälle zu achten, da ihr immer wieder auffalle, dass sie das nicht so genau nehme wie sie es wolle und dann drauflosspreche. Beim Handeln sei ihr das auch ein zunehmend wichtiges Anliegen. Am Vortag habe sie Einfälle notiert, damit sie diese nicht wieder verliere; wie beim Schreiben (sie schreibt vieles auf in einem Tagebuch), wolle sie genau auf Einfälle achten, notieren und in die Tat umsetzen. Davon nicht überschüttet, sei sie über die Umsetzung froh. Sie begreife deutlicher, dass das Ausmaß des Unwohlseins (seit ca 15a) abgenommen habe, aber nicht ein für alle Mal bewältigt und wiederkehrend sei. Diese Sache mit dem Zusammenhang Unwohlsein - auf Einfälle achten - Handeln habe sie einigermaßen auf der Reihe. Es dominiere sie nicht mehr.
D. bringt in die letzte Sitzung folgenden Traum:
Eine Familienzusammenkunft meiner Familie und der Familie meines Exmannes in einem Hotel. Ein Zusammenkommen und dann wieder ein Auseinandergehen. Sie selbst habe beim Auseinandergehen noch eine geringe Not, dass sie nicht sicher sei, wie sie von dort wieder nach Hause komme. Es komme in den Sinn ihren Exmann zu fragen ob dieser in seinem Handy recherchieren oder er sie gleich ein Stück mitnehmen könne. Ende: Dieser Traum habe für sie etwas Klärendes, es sei ein friedliches Miteinander der Familien möglich, was im Wachen durch die Scheidung und den Streit um das Sorgerecht vor ca. 15 Jahren nicht möglich sei. Stimmungsmäßig fällt D. das entspannte Miteinandersein auf, auch sie selbst fühle sich zu Beginn wohl, im Anschluss müsse der Raum der Zusammenkunft im Hotel noch etwas geordnet werden, damit sei sie beauftragt.
Zum Sorgerechtstreit meint D, dass nach ihrem 1.Psychiatrieaufenthalt im Jahr 2000 ihr Exmann bei Gericht das Sorgerecht beantragt habe und ihr wurde es schließlich entzogen. Nun sei der gemeinsame Sohn volljährig und die Lage habe sich entspannt. Aus heutiger Sicht sei sie froh darüber, dass es so gekommen sei und dass ihr Sohn bei seinem Vater aufwachsen konnte. Damals habe sie das nicht verstanden. Sie war nicht in der Lage für ihren Sohn gut zu sorgen, auch wenn sie sich so darum bemühte, sich vorbereitet habe auf die Mutterschaft, aber beispielsweise zeige ihr ein Koffer voller Fotos aus der damaligen Zeit, wie gestört ihre Beziehung zu ihrem Sohn von Anfang an war. Sie hatte keinen Draht zu ihm, fotografierte und bemerkte nicht, wie schlecht es ihm ging. Beispielsweise zeige ihn ein Foto weinend mit zerkratztem roten Gesicht, weil sie das mit dem Nägelschneiden nicht gut hinbekamen und sie hielt ihn lachend in die Kamera. Oder beim Haare waschen: er habe unter der Dusche gebrüllt und sie hatte keine Idee ihn zu beruhigen. Ihr Exmann nahm seinen Sohn auf seinen Bauch um die Augen zu schonen - kurzum sei sie nicht stolz darauf, es sei nicht gut gewesen, was sie da rausgelassen habe.
II. THEORETISCHE EINFÜHRUNG
Der methodische Ansatz der Daseinsanalyse ist die Phänomenologie. Phänomenologie ist die Lehre des Sehens: zu sehen, was sich uns in unserem Offenständigkeitsbereich zeigt und nicht zeigt, verbirgt. Das betrifft auch den Bereich der Widerständigkeit menschlichen Verhaltens.
Ein Phänomen ist zunächst nicht nur etwas, was uns erscheint und hinter dem wir Ursachen und Inhalte suchen könnten. Eine derartige Sicht des Phänomens würde den Blick auf das Wesenhafte versperren, um das es in der Begegnung mit dem
Menschen in der psychotherapeutischen Praxis geht. Das Sich-zeigen der Phänomene ereignet sich als Vollzug des Menschseins.
Das Wesenhafte zeigt sich nur dann, wenn es selbst, ohne Verstellung und ohne Zuteilung zum Vorschein kommen kann. Das erfordert vom Daseinsanalytiker ein möglichst vorurteilsloses Hören, Sehen und Teilnehmen, denn es geht um das Sichzeigen nicht um das Sich-zeigende.
Zu-sein heißt für ein Lebewesen: leben. Mensch zu sein heißt, in Anspruch genommen sein, aufgerufen sein.
Die Daseinsanalyse ist nicht kausal-genetisch auf die Vergangenheit gerichtet um die Gegenwart und ein aktuelles Geschehen zu erklären, was aber nicht heißt, dass das Gewesene nicht zum Zug kommen kann. Vielmehr ist dem Menschen in seiner ekstatischen Erschlossenheit der Zeit Gewesenes immer anwesend und niemals nur vergangen und nicht mehr präsent: Gewesenes west an!
In das Anwesen reicht gleichursprünglich das Abwesen von Abwesendem hinein, das Gewesen-sein und das Zukünftig-sein sind Modi von Anwesen! Holger Helting schreibt: "Das 'Hier' und 'Jetzt' der therapeutischen Situation schneidet den Menschen nicht von seiner Herkunft und Zukunft ab, sondern versammelt augenblicklich das Gewesene, um ihm gegenwärtig eine verwandelte, sinnvolle Zukunft einzuräumen" (Helting, 1999, 140).
Technisch gesehen, versucht der Daseinsanalytiker aufgrund der phänome-nologischen Methode aktuelle Zustände und Symptome nicht aufgrund einer schwierigen Vergangenheit zu "erklären" oder "abzuleiten", sondern lässt schwierig Gewesenes selbst hervortreten, sich zeigen, an-wesen und damit gegenwärtig werden und sein; Sein-lassen, heißt nicht gleichgültig zu sein, gleichgültig zu begegnen, sondern dem jeweiligen Menschen in der psychotherapeutischen Praxis dazu zu verhelfen, seine ureigensten Möglichkeiten ergreifen zu können.
Aufgabe des Daseinsanalytikers ist es dem Phänomen einen Möglichkeitsraum für dessen volles Sich-zeigen-können einzuräumen und nichts niederzuhalten. Im horchenden Grundverhalten (gleichschwebende Aufmerksamkeit) ist es nicht gleichgültig, wie der Daseinsanalytiker ist, wie er sein eigenes Sein vollzieht.
Die Daseinsanalyse sieht den Menschen nicht als animal rationale, als ein vernunftbegabtes Tier. Vielmehr geht es um das Verständnis eigentlichen Menschseins, welches nicht vom Tier abgeleitet ist oder mit Zusatzfähigkeiten ausgestattet, unterschieden werden könnte. Das Besondere des Menschen, sein Wesen, ist seine Ek-sistenz - d.h. der Mensch ist offen für alles Seiende, von dem er
in Anspruch genommen wird und Antwort zu geben hat. Diese offene Begegnung ist nicht statisch, sondern ein Geschehen.
In jedem Menschen liegen ganz eigene einzigartige Möglichkeiten des Offenseins und Freiseins sich vom Begegnenden ansprechen zu lassen. Konkret im Vollzug zeigen sich diese unterschiedlichen Möglichkeiten in der je eigenen Art wie ein Mensch sich in seiner Welt, in seinem In-der-Welt-sein, vom Begegnenden räumlich, zeitlich, leiblich, mitmenschlich, gestimmt, entschlossen... ansprechen lässt.
III. ZUR VORGESCHICHTE
Wenn ich mir im vierten Jahr der zweiten Therapiephase, nach insgesamt etwa 250 Sitzungen, die Psychotherapie anhand meiner Sitzungsnotizen durch den Sinn gehen lasse, so glaube ich - ohne allzu willkürliche Interpretationen machen zu müssen - Aspekte der Analyse zu sehen, die sich insbesondere durch die Art der Begegnungsmöglichkeiten auszeichnen. In dieser Falldarstellung zeigen sich besondere Weisen des Sprechens und Denkens, Bewegungen in der Gestimmtheit und Änderung im konkreten leibhaftigen Verhalten.
Die erste Therapiephasen entspricht 55 Sitzungen im Zeitraum von 2001 bis 2002, ein- bis zweimal wöchentlich. Typisch für diese Zeitspanne war die bizarre und angstbesetzte Wahrnehmung der Nähe und der Distanz, auch zum Analytiker. Nachdem sich D. aus der Beratungsstelle, wo wir uns zum ersten Mal trafen, in meine Praxis bewegte, stellte sie von Anfang an die Bedingung, mir nun nicht mehr die Hand zur Begrüßung reichen zu wollen. Heute finde ich den Entschluss, auf den Händedruck gewährend bis auf weiteres zu verzichten, sehr fragwürdig. Damals war es meine natürliche Antwort auf ihre Angst sich zu zeigen, die ich so stark spürte. In dieser ersten Phase brachte sie folgenden Traum: Ich schaue auf eine Art Tümpel mit Erhebungen und Grund. Das Wasser wird weniger und der Tümpelgrund wird sichtbar. Er ist dicht besetzt mit Lebewesen, schlangenartig, echsenartig, dunkel, nass, glänzend. Plötzlich wird mir bewusst, dass meine linke Hand im Tümpel ist, ich schüttle sie und reiße sie heraus. Ich wache auf. Ende: Als Erwachsene meint D. zu diesem Traum, dass es notwendig sei, auf den Grund zu gehen um die eigenen Werte zu finden, die linke Hand sei ihre Gefühlshand. Als Kind und Jugendliche hatte sie Angst vor diesen Träumen, denn oft träumte sie von Schlangenartigem, oft war sie in einem Garten voller Schlangen. Die Angst vor Schlangen in den Träumen und im Wachen habe zur Folge, dass sie meist sehr feste Schuhe trage, um auch auf unkultivierten Böden gut gehen zu können.
Holger Helting schreibt in seinem Buch "Einführung in die philosophischen Dimensionen der psychotherapeutischen Daseinsanalyse", dass eine Schlange im Traum nicht gleich in etwas Phallisches oder Archetypisches umgedeutet werden muss, wie es in der tiefenpsychologischen Literatur und in der praktischen Anwendung der Traumdeutung oft geschieht, sondern dass es in der daseinsanalytischen Traumauslegung um die Freilegung des Phänomens geht, d.h. dass es darauf ankommt, dass sich der Daseinsanalytiker auf das Gespräch und die Begegnung mit dem Patienten, wie er sich zeigt, einlassen muss. Es gehe im daseinsanalytischen Sinne um eine Ver-deutlichung eines Sachverhalts, im konkreten Fall um die Angst vor der Kreatürlichkeit. D. bemerkte noch, dass eine Schlange keine Gliedmaßen hat und sich weder anhalten noch abstoßen kann. Sie ist auch auf die Umgebung angewiesen, die ihr den richtigen Abstand erweist.
Die zweite Therapiephase, nach ca. einem Jahr Pause, umfasst den Zeitraum von Frühjahr bis Jahresende 2003. In dieser Zeit beging ich als ihr Psychotherapeut einen groben Fehler: Ich hatte nicht erfasst, dass eine Erzählung aus ihrem Tagebuch über die Begegnung mit einem jungen Mann ein zarter Beginn ihrer Beziehungsmöglichkeiten war und dass ich dazugehörte, dass sie begonnen hatte, sich mir zu öffnen und zu zeigen. Durch eine spontane unüberlegte Intervention rief ich sie in eine harte Welt zurück und machte sie darauf aufmerksam, dass sie sich nicht alles gefallen lassen sollte. Mir schien, sie könne eine Auslegung ihres Verhaltens auf diese Weise ertragen, aber es sah aus, als ob ich sie mit Gewalt vom Strom des Lebens abgeschnitten hätte. D. beendete die Psychotherapie mit einem Abschiedsbrief, da sie sich nicht mehr sicher und selbstverständlich angenommen, sein-gelassen, fühlte. (Ließ sie sich nicht mehr alles gefallen?!) Sie fragte in diesem Brief, warum ihr Therapeut so emotional geworden sei: "Warum haben Sie sich eingemischt, wie mein Vater!"
Hatte ich tatsächlich ähnlich wie so oft ihr Vater reagiert? War ich aus meiner Abstinenz ausgebrochen? War ich aus einer gelassenen, freischwebenden Aufmerksamkeit und einem Lassen, in dem sie sich selbst entdecken und zulassen konnte wie sie war, herausgefallen?
Dem Phänomen der psychotherapeutischen Beziehung kommt eine wichtige Bedeutung in der Praxis zu und nimmt in verschiedener Weise Einfluss auf den Behandlungsverlauf. Die gegenseitige Gestimmtheit in einer Atmosphäre des Vertrauens und Wohlwollens fördert den therapeutischen Prozess. Starke Gefühle wie Liebe, Wut und Hass können eine Entwicklung aber auch blockieren.
Einen differenzierteren Blick auf das oft so genannte Phänomen der Übertragung zu richten um klar zu formulieren, dass es nicht nur um Beziehungsmodi geht, die von einer Person (zumeist frühe Beziehungsmuster zu den Eltern) auf andere spätere Beziehungen (auch zum Therapeuten) übertragen werden, erscheint phänomenologisch sinnvoll und notwendig. Allgemein von menschlicher Offenheit in aktuellen Beziehungen zu sprechen, ohne frühere Beziehungserfahrungen als Einflüsse in den späteren Begegnungen mit zu bedenken, erschiene mir als etwas zu wenig. So könnte man für das Verstehen von Übertragung von einer verzerrten Eigen- und Fremdwahrnehmung ausgehen, von einem Phänomen der Täuschung und des Vorurteils. Jedes Vorurteil ist phänomenologisch gesehen, im Sinne einer phänomenologischen Auslegung, ein Mangel an Offenständigkeit.
Die aktuelle Therapiephase beginnt 2013, nachdem wir einander in ihrer Heimatstadt zufällig wiedergesehen und uns über die Straße hinweg freudig begrüßten. Sie rief mich an, bezog sich nochmals auf unser Wiedersehen auf der Straße und wollte einen Termin in meiner Praxis. Ich war schon gespannt auf diese Begegnung nach der langen Pause: Nun saß sie wieder hier und meinte, dass dieser Gruß über die Straße so spontan und fröhlich war, dass sie sich kurzum entschloss, mich anzurufen um wieder zu kommen. Sie komme, weil sie lebendig werden wollte. Der spontane Gruß über die Straße, kündigte wohl schon etwas von einer Lebendigkeit an, die uns beiden in diesem Augenblick geschenkt war und den sie als so zündend für Lebendiges in der Begegnung mit mir vernehmen konnte, dass sie die Gelegenheit ergriff und mich anrief. Auch die Schwierigkeiten, die 2003 zum Therapieabbruch führten, kamen zur Sprache und blieben nicht ausgespart. Ich habe den Eindruck, dass diese Er-innerung uns nicht mehr belastet und unser Miteinander-sein nicht mehr bedroht, sondern, dass der offene Umgang und die Erfahrung, dass wir weitermachen konnten viel wichtiger geworden ist als das Fehlerhafte im Fehler, weil daraus die Erkenntnis gewonnen werden konnte, dass unsere Beziehung auch Widrigkeiten standzuhalten vermag und nicht gleich zerbricht. Ein gutes Gefühl in einer Beziehung zu sein, die trägt.
Die angesprochene Lebendigkeit, die D. als Hauptziel für die Therapie formulierte, konnte sie in den letzten Jahren fast ausschließlich nur in psychotischen Phasen erleben, wenn sie beispielsweise einmal auf der Autobahn halbnackt im Regen spazierte und sich dabei frei wie ein junger Hund fühlte. Solche und ähnlich lebendige, oft aber auch gefährliche Ausflüge endeten zumeist in der psychiatrischen Klinik. Bis zur aktuellen Therapiephase waren es 10, ein 11ter stationärer Aufenthalt sollte noch folgen.
Nach der ersten Sitzung entschloss sie sich für die Couchlage. Dass sie sich diesmal so spontan von sich aus für das Liegen entschied, verwies auch auf das entspannte Miteinander-sein, das wir jetzt mit dem freudigen Wiedersehensgruß als Auftakt auf unserer Seite hatten. Mir gab dieser Entschluss zunächst kurz zu denken, weil der frühere gegen die Couch nochmals aufblitzte: unkontrollierbare Stimmungsschwankungen und Ängste drohten damals Frau D. den Boden unter den Füßen wegzureißen - ein Sicht - und Haltgebendes Gegenüber schien uns damals mehr Sicherheit zu geben. Diesmal fand ich es aber eine gute und richtige Entscheidung, die sie selbst spontan treffen konnte und somit sprach auch aus meiner Sicht nichts dagegen. Einer offenen und befreienden Couchlage konnte gegenüber einer mehr haltgebenden und stützenden Sitzposition diesmal der Vorzug gegeben werden. Im Therapieverlauf wird noch ersichtlich werden, wie bedeutsam die Lage bei einem Menschen sein kann, der noch sehr in seinem "Kopf" zuhause ist. Das Liegen entspannt den Kopf von seiner überbetonten Steuerfunktion und lässt das Leiblich-sein als Gesamtheit in seiner existenzialen Weise walten. Ein tieferes Sehen im Sinne eines Einsicht-gewinnens kann hervortreten. Die Kontrolle, die durch ein Gegenübersitzen unmittelbar gegeben und manchmal noch notwendig ist, kann aufgegeben werden und ein Zu-sich-selbst-kommen ohne Rücksicht und Rückhalt kann leichter zugelassen werden und der Patient kann wachsen. Dem aufbrechenden Wachsen müssen beide gewachsen sein, Analysand und Analytiker. Ein kunstvolles Ein- und Vorspringen im analytischen Setting lässt den Patienten etwas Neues wagen, wo er bisher noch ausgewichen und Begegnendem aus eigenem Vermögen Stand halten, wo früher der Flucht Vorzug gegeben wurde. Der rechte Augenblick zum Einspringen entspringt zum einen aus dem Ermessen der Sache selbst; wohl wird der Entwicklungsstand des Patienten es selbst zeigen, was im Leben leicht, schwer oder noch gar nicht geht und der Hilfe des Therapeuten bedarf. Ebenso entscheidend ist aber auch der Stand des Therapeuten selbst, von wo aus er auf festem Boden in guter Ent-fernung den Patienten geleiten und ihn jederzeit noch erreichen kann. Dann kann Neues allein gewagt und zum richtigen Augenblick eingegriffen werden, wo Schädigendes unausweichlich scheint und Selbstgefährdendes die Therapie bedroht.
Was sich für D. seit "der Stunde ihrer eigentlichen Geburt" vor ca. 15 Jahren, nach der Trennung von ihrem damaligen Freund und dem Ausbruch aus dem elterlichen Erwartungsgefüge, zu einer katastrophalen Krise zu entwickeln schien, mit den vielen stationären Aufenthalten und einer frühzeitigen Pensionierung, war gut nachvollziehbar. Von Kindheit an sehr leistungsorientiert und von einem
beherrschenden Willen zu ausgezeichneten Noten in der Schule und später zu beruflichen Höchstleistungen angetrieben, ging es nach der Trennung bergab. Noch kämpfte sie gegen die eigenen Stimmungen, die sie nur selten unmittelbar als gegeben vernehmen konnte, an. Wenn sie sich unwohl fühlte oder Unlust und einer Antriebslosigkeit ausgeliefert zu sein schien, versuchte sie sich zu etwas zu drängen, zu zwingen. Dann jammerte sie und lehnte sich gegen ihre Untätigkeit auf, machte sich selbst Druck, ärgerte sich über das viele Sitzen und Grübeln in ihrem Lieblingssessel und zwang sich zum Aufstehen. Das viele Nachdenken entwertete sie und versuchte es zu unterbinden, indem sie beispielsweise früh am Nachmittag schlafen ging um das Denken zu stoppen. Mit Hilfe der Medikamente war ein frühzeitige Einschlafen und Abschalten möglich.
IV. AUS DEN SITZUNGEN
In den Sitzungen während dieses ersten Halbjahres standen die schwierige Beziehung zu den Eltern, der Besuchsmodus zu ihrem Sohn, ihr eigenes Nichtfunktionieren-können und die gestörte Sexualität im Vordergrund.
Seit ihrer Kindheit hatte D. eine Urangst zu stören und vor allem ihren Vater erlebte sie als jemanden, der sich immer gestört fühlte und dauernd Anlässe zum Herumschreien fand. Erst im vergangenen Sommer habe sie es zum ersten Mal gewagt zurückzuschreien und seither sei die Beziehung etwas besser geworden, so als hätte ihr Vater erstmals bemerkt, dass sie auch eine eigene Stimme habe. Trotz der schwierigen Beziehung zu den Eltern von Anfang an, war ich doch erstaunt, dass D. immer noch bemüht war, einen Zugang zu ihnen zu finden und sich den Kopf zu zerbrechen, wie eine entspannte Beziehung mit der Familie möglich sein könnte.
War sie noch zu ängstlich um deutlichere Worte zu finden? War die Abhängigkeit noch zu groß um eine Beziehungspause mit mehr Distanz zu vollziehen? Fühlte sie sich zu krank? War sie zu sehr Außenseiterin in der Familie, die entweder nicht beachtet wurde oder die man in die Psychiatrie brachte, wenn sie auszuckte? Wie schwer musste es wohl für sie sein, dass sie seit vielen Jahren eingeschränkt dahindämmerte und im Gegensatz zu Bruder und Schwester, die beide im Berufsleben in leitenden Positionen standen, ausscherte und nicht mehr funktionierte?
All diese erlebten Unzulänglichkeiten frustrierten und ermüdeten D. so sehr, dass sich auch in den Sitzungen eine Schwere atmosphärisch ausbreitete und auf mich
überschwappte: In einer dieser Sitzungen machte ich nur die Bemerkung, dass sie in ihrer Welt vertrauter und sicherer werden könnte, wenn sie sich im Interesse eigener Aufgaben gegen zu viele fremde Erwartungen und Vergleiche, die sie von sich selbst wegführten, wehrte. Damit würde sie auch bereit werden, anstehende Aufgaben, die ihr in den Sinn kamen, anzupacken, anstatt sie hinauszuschieben und zu jammern, dass sie nichts zu Wege bringe. Ansonsten beschränkten sich meine Interventionen auf das Nötigste, denn sie sollte sich frei entfalten können, nicht allein gelassen, aber frei, sollte sie eigene Erfahrungen und Verantwortung entwickeln. So stellte ich es nur in Frage, wenn sie sich immer wieder abwertend betrachtete und übermäßigen Druck gegen sich selbst aufzubauen versuchte oder zu sehr auf die Leistungen anderer blickte, anstatt mehr zu sich selbst, zum Stand der eigenen Möglichkeiten zu stehen.
In dieser ersten Zeit brachte D. folgende Träume:
1.Traum
Ich bin in einer mittelalterlichen Burg und stoße einen 60jährigen Mann aus dem Fenster. Angesicht zu Angesicht. Das tut wohl. Er hat mir einen Ausweis oder Eintrittskarten abgenommen, die ich ihm jetzt wieder abnehme und einem Bekannten, der am Fenster steht, in die Hosentasche stecke. Ende: aufgeregt und ängstlich erzählt sie den Traum, aber auch wohl, weil sie sich durchsetzt und meint, dass ihr Vater ihr den Zugang zum anderen Geschlecht genommen habe.
2.Traum
Meine Eltern bringen mich in eine Wohnung und verabschieden sich. Vater stellt Bedingungen, dass er zwischendurch zum Duschen kommen kann, meine Schwester ist auch irgendwie da. Ende: sie meint, dass sie sich lösen und erwachsen werden wolle. Ihre Mutter koche auch für sie und ihr Vater bringe ihr dann das Essen vorbei.
In diesen ersten Träumen zeigt sich die noch einengende Nähe und der bereits beginnende Kampf um das Eigene: Im 1.Traum stößt sie unmittelbar den Mann, der ihr Ausweis oder Eintrittskarten abgenommen hat aus dem Fenster. Ängstlich und freudig aufgeregt, dass sie sich gegen den älteren Mann durchsetzen konnte, erwacht sie. Zwar behält sie das Wiedererlangte nicht bei sich, sondern gibt es gleich weiter an einen gefühlsmäßig Bekannten, den sie aber nicht näher bestimmen konnte. Sie holt sich Eigenes zurück, kann es aber noch nicht bei sich behalten. Wie wenig sie Begegnendem noch Stand zu halten vermag, zeigt sich wohl auch in dem unmittelbaren Stoß, den sie dem Mann am Fenster versetzt. Es bleibt kein Raum zum Überlegen und Begegnen-lassen, er muss einfach weg! Muss der eine weg, damit sie
Zugang, Eintritt zum anderen bekommt? Auf diesen Aspekt näher einzugehen oder ihren impulsiven Stoß in Frage zu stellen, schien mir in diesem Augenblick nicht entscheidend oder als zu viel Intervention meinerseits. Maßgebend war für mich zunächst, dass sie aus eigener Kraft und mit einem einhergehenden guten Gefühl eine starke Handlung setzen und sich von einem Widersacher befreien konnte. Die Dichtheit und den geringen Handlungsspielraum, den ich beim zuhörenden Sehen vernehmen konnte, nahm ich auf und mit und diese Einsicht blieb in dem Erfassen der weiteren Entwicklung von D. eine wichtige Referenz.
Im 2.Traum wird sie von den Eltern in eine Wohnung gebracht und ihr Vater stellt Bedingungen. Beides, das Gebracht-werden und die gestellte Bedingung zum eigenen Wohnen, zu ihrem Weltaufenthalt, verweisen auf eine noch nicht gelöste Abhängigkeit von den Eltern. Auch das, was ihr im Traum als Bedingung vom Vater her begegnet, dass er zwischendurch in ihrer Wohnung duschen möchte, spricht von einer ungesunden Nähe, die ihr hier begegnet. Im Wachen zeigt sich dies, so lässt sich vermuten, besonders im psychotischen Erleben, wenn sich ihr zwangläufig und überzeugend der väterliche Missbrauch aufdrängt.
In den folgenden Sitzungen waren Versuche des Abnabelns vom Elternhaus und des Neu-sehen-könnens von Beziehungen im Vordergrund. Erste Entwicklungsschritte zeigten sich auch im Alltag, sodass D. im Sommer zunächst die Essenslieferungen durch ihre Eltern, die es nur gut mit ihr meinten und fertig Gekochtes bei ihrer Tochter vorbeibrachten, abstellte. Ihr Wunsch nach einer Befreiung wurde stärker und zeigte sich auch in den Ansprüchen, die sie im Alltag umzusetzen versuchte. Dazu gehörte auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Psychopharmakaeinnahme, war sie doch sehr davon überzeugt, dass sie zu Beginn ihrer Erkrankung, nach der Trennung von ihrem Jugendfreund eher jemanden zum Reden als Psychopharmaka zum Schlucken gebraucht hätte. Sie wusste, dass sie damals bereits einen
"Knacks" gehabt hatte, aber wenn jemand eine Weg gefunden hätte, mit ihr zu reden, als sie das erste Mal verrückt wurde.. -1 sie wisse, dass ihre Verrücktheiten ein Weg gewesen war ihr selber zu helfen, über ihre Angst und Panik hinwegzukommen. Aus heutiger Sicht lebte D. vor der Trennung von ihrem Jugendfreund ein Leben ohne eigenen klar formulierbaren Willen. Sie funktionierte sehr gut und für andere. Als sie sich von ihrem Jugendfreund trennte, was ein erster starker eigenwilliger
1 Vgl. mit Harlene Anderson & Harold Goolishian (Der Klient ist Experte: Ein therapeutischer Ansatz des Nicht-Wissens, 1992).
Entschluss gewesen sein musste, wurde sie von ihren Eltern fallen und allein gelassen. Ab dann funktionierte sie nicht mehr, sich zu konzentrieren fiel ihr schwer und der Schock, dass eine Herzensentscheidung gegen den Willen der Eltern zur totalen Ablehnung führte, fuhr ihr derart in die Knochen, dass sie sich kaum noch sammeln konnte und ver-rückt wurde. Doch anstatt mit ihr zu sprechen, gaben ihr die Ärzte Medikamente mit mehr oder weniger Druck. Einmal erinnere sie sich an eine Fixierung an das Krankenbett und sie musste dringend auf die Toilette, wurde aber nicht gehört und machte sich an. Sie schleppte sich noch weitere 2 Jahre in die Arbeit bis sie es nicht mehr schaffte und sich aufgab. Die neue Beziehung mit viel Streit, die Schwangerschaft und die Geburt ihres Sohnes brachten das Fass zum Überlaufen. Jetzt, etwa 15 Jahre später, erreichte sie im Gespräch mit ihrer Psychiaterin eine Reduktion der Dosis. Es mag sein, dass dieser beginnende Aufbruch Stimmungen belebte, die ihr noch nicht geheuer waren, sodass sie ängstlich von Schatten in ihrem Garten zu berichten begann. Bald darauf kam es zum bisher letzten Psychiatrieaufenthalt.
Vor dem stationären Aufenthalt brachte sie folgende Träume:
3.Traum
Ein junger Mann. Meine Mutter und meine Ex-Schwiegermutter sind gestorben. Ich soll ein Seidentuch für eine Königin machen. Der junge Mann lässt das Tuch auf den Boden fallen, etwas demütigend, es macht mir aber nichts. Ich will die Königin sein. Ende.
4.Traum
Bin in einem unterirdischen Gang unterwegs. Der Boden ist feucht und glitschig, dann komme ich an eine Gabelung, ein Gang führt im orangen Licht leuchtend weiter. Ich schiebe etwas vor mir her. 2 Personen, eine unscheinbar an die Wand gelehnt und eine andere deutlicher sichtbar als Mann. Er kommt auf mich zu und schüttet über mir einen Kübel voller Schlangen aus. Eine bleibt an mir hängen. Der Mann wolle ihr etwas heimzahlen, weil sie ihn nicht beachtet habe. Ich wache auf. Ende.
5.Traum
Ich soll ein widerspenstiges Pferd eng am Halfter auf die Wiese führen. Gefahr dass es ausschlägt oder beißt - beides gleichzeitig gehe ja nicht. Es will eigentlich rennen. Ende.
In Traum 3 will D. die Königin sein, die das Seidentuch selbst gemacht hat und aufhebt, was der junge Mann fallengelassen hat. Sie bemerkt in Bezug zu dem jungen
Mann etwas Demütigendes, was ihr aber nichts ausmacht. Sie will die Königin sein. Nach der Bedeutung der Königin gefragt, meint D., dass eine Königin die Macht habe um über alle zu bestimmen. Der junge Mann sei ihr nicht bekannt. Zum Tod der verstorbenen Mutter und Ex-Schwiegermutter empfinde sie nichts, weder Trauer noch sonst ein Gefühl, das sei einfach so. Erst im Erwachen tauchen Bezüge zum eigenen Mutter-sein auf. Die eigenen Versäumnisse als Mutter kommen in den Sinn und sie stellt sich die Frage, ob sie noch etwas nachholen könne.
Im 4. Traum ist sie unterirdisch unterwegs. Das Glitschige verweist auf einen nicht gesicherten Boden, sie hat keinen sicherer Stand und Gang. Zusätzlich erschwert ist ihr Fortbewegung durch das Vor-sich-herschieben eines Etwas. Worum es sich handelt bleibt im Verborgenen. 2 Personen, eine unscheinbar, eine konkreter als Mann erkennbar tauchen am Weg auf. Einer überschüttet sie mit Schlangen, etwas vom Schrecklichsten, was ihr passieren kann und eine dieser Schlangen bleibt auch noch hängen. D. ist bei allen Schwierigkeit nur für einen Mann offen, der ihr heimzahlt, dass sie ihn nicht entsprechend beachtet habe. Glitschig ist der Boden, glitschig sind die Schlangen und sie hat die Hände nicht frei, weil sie etwas vor sich herschiebt. Sie muss die Tortur über sich ohnmächtig ergehen lassen. Nach dem orangen Licht gefragt, meint D., dass sie nicht genau sagen könne, woher dieses komme, aber es ziehe sie an, wie orangefarbenes Sonnenlicht, als komme sie aus dem unterirdischen Gang doch einmal hinaus, wenn sie nur weitergehe. Es zeigt sich in diesem Traum wie mühselig, unsicher und glitschig ihr Weg noch ist und wie eingeschränkt ihre Handlungsmöglichkeiten insbesondere in der Begegnung mit männlichen Wesen sind, wenn es auch darum ginge sich selbst zu behaupten. Sie erstarrt und scheint handlungsunfähig. Auf die Frage, was es denn mit dem Heimzahlen auf sich habe, weil dieser Mann sich von ihr nicht beachtet fühlte, meinte D., dass der Zugang zum Männlichen durch ihre Beziehung zum Vater verstellt sei und sie frage sich, ob die zweite, nicht deutlich erkennbare Gestalt, die abwartend, an die Wand gelehnt und entspannter wirke, eine neue Gelegenheit für eine Begegnung sein könnte.
Im 5. Traum ist sie einem Pferd, das sie hinaus ins Freie führen soll, so nahe, dass sie nur die Gefahr spürt, gebissen oder gestoßen zu werden. In dieser geballten Spannung, in der sie nicht freiwillig steht, ist sie gebannt und selbst unfrei. Sie ahnt und kennt das Wesen des Pferdes. Es will rennen, frei sein. Und sie bremst es. Beim Erzählen geht ihr unmittelbar ihr eigens Gebremst-sein auf. Sie hat das Pferd am Halfter in der Hand und sie hat es in der Hand zu bremsen und frei-zu-lassen so nahe beieinander.
In diesem Traum zeigt sich eine geballte Kraft, die einerseits auf ein mögliches Frei-sein und andererseits auf eine Gefahr verweist, wenn noch allzu lange gedrosselt werden muss. Ein Biss und ein Stoß sind nahe beim Zurückhalten.
Es erwies sich als ungeheuer schwierig D's unverhältnismäßige Angst und Vorsicht in Beziehungen in Frage zu stellen und ich wollte sie auch nicht überfordern. Schließlich sollte sich ja auch unser Miteinandersein gut und entspannt entwickeln können. Wenn sie Peinliches anzusprechen wagte und dabei beispielsweise von sexuellen Trauminhalten in Beziehung zu mir berichtete, wies sie darauf hin, wie schwer ihr das doch falle, aber das Einhalten der Regel sei ihr ein Anliegen. Erst in den vergangenen Monaten hatte ich den Eindruck, dass sie sich auch in Beziehung zu mir die Freiheit nahm, offen und laut darüber nachzudenken, ob sie wirklich immer alles gleich ansprechen wolle oder doch auch einmal zögern dürfe. Diese Entwicklung scheint wichtiger zu sein als ein allzu braves Befolgen der Regel, weil sie auf Eigenes verweist, auf ein freies Ver- und Entbergen-können und dass es das überhaupt gibt, dass Regeln auch fragwürdig werden dürfen. So beginnt sie zu sehen, dass sie und wie sie sieht. Ein wesentlicher Schritt in der Selbsterfahrung, wenn ein tieferes Sehen einsetzen kann. Diese Erkenntnis leibhaftig zu erfahren, ist von außerordentlicher Bedeutung, insbesondere für das Verständnis und die Beweglichkeit in der Wahrnehmung von Frau D. Es kann vermutet werden, dass diese Möglichkeit das eigene Selbst so weit zu stärken vermag, dass sie Begegnendem nicht mehr ausgeliefert sein muss, im Sinne einer paranoiden Erlebnisweise, sondern festen Boden gewinnt und Stand zu halten vermag.
Außer den genannten Peinlichkeiten sich vor mir zu entblößen, wie sie es manchmal nannte, war D. sehr darauf bedacht, mich nicht zu überfordern oder gar in mein Privatleben einzudringen. Sie wollte die Beziehung zu mir unter keinen Umständen gefährden. Kam diese Sorge zur Sprache, versuchte ich D. den Bedeutungsgehalt ihrer Ängste verständlich zu machen, ihr z.B. zu zeigen, dass die sexuellen Fantasien in den Träumen, im Schlafen und im Wachen, von einer tiefen Sehnsucht nach allen menschenmöglichen Regungen und Beziehungsformen angesehen werden könnten: und dass ich auch einen Zusammenhang sehe mit ihren Schwierigkeiten, allem was ihr begegne, standzuhalten. Auf den wiederholten ruhigen Hinweis meinerseits, dass es mich etwa nicht verstöre oder gar überfordere, wenn auch sexuelle Gedanken zu meiner Person aufkamen, sondern dass ich viel eher ihre Offenheit und ihr Vertrauen begrüßte, mit mir ihr Intimstes zu teilen, konnte sich D. hörbar und zustimmend erleichternd in derselben Sitzung auf meine Worte einlassen.
Während sexuell getönter Schilderungen, hörte ich fast ausschließlich zu und griff nicht oder nur selten ein, da ich vermutete, dass ihr meine Fragen und Bemerkungen als eine Form der Annäherung in einer Weise ein- und zudringlich werden könnten, die sie eher überforderten als forderten. Zu sehr schien sie noch eingeengt auf ein bedrohliches Miteinander, als dass sie mich so wie ich war, hätte sein lassen können und nicht verzerren musste. Mir ging aber auch auf, wie wichtig es für D. war, mir in ihrem eigenen Tempo nahe kommen zu können, sich dabei selbst und auch mich nicht als übergriffig und als verletzend zu erleben. Dies zeigte sich in einem zunehmend entspannten und kräftigen Händedruck, der mir zu Beginn der ersten Behandlungsphase 2001 noch nicht gewährt werden konnte, obwohl oder weil wir damals noch nichts voneinander wussten. Befreiung und eine wohltuende Nähe waren spürbar. Sie fühlte sich durch den zunehmenden Mut stärker und auch etwas lebenslustiger. Aber zuhause bemerkte sie zunächst Schatten im Garten und bekam dann große Angst vor den "Gestalten" und rief schließlich die Polizei herbei. Als ihre Eltern dazu gerufen wurden, entschloss sie sich selbst zu einem stationären Aufenthalt in der Psychiatrie.
Nach dem 3wöchigen Psychiatrieaufenthalt (Psychotisches Erleben bei bekannter schizo-affektiver Störung F 25.0) kehrte D. bald wieder in die Analyse zurück. Wie war dieser Psychiatrieaufenthalt zu verstehen? In den Wochen zuvor nahm ihre Lebendigkeit zu und sie konnte einige Verhaltensänderungen erfolgreich ausprobieren. Durch dieses Lebendig-werden kamen aber auch weniger attraktive und befreiende Gefühle und Gedanken auf, Ängste und unangenehme Erinnerungen drängten sich auf. Ich fragte mich, ob ihr das eigene Wachsen, das in Bewegung-kommen noch so fremd sein mochte, dass sie Begegnendes, wie ein Rauschen im Garten, bewegliche Sträucher und Bäume im Licht- und Schattenspiel nicht sein lassen konnte oder sich daran zu erfreuen, sondern in oft gewohnter Manier negativ bedrohlich erlebte und feindliche Männer vor ihrer Haustür vermutete. Die Angst davor umgebracht zu werden war nicht neu und schon Bedeutungsgehalt früherer psychotischer Erlebensweisen. Dem Entlassungsbrief der Klinik war auch eine Tages- Nachtschwankung zu entnehmen. Wurde sie bald nach der Aufnahme tagsüber ruhiger und die paranoiden Ängste wichen, kamen abends Ängste und Beziehungsideen zurück. Es war für mich nicht sehr überraschend zu lesen, dass es in der Überzeugungsarbeit zur Einnahme einer höheren Dosis eine Antipsychotikums am Abend vor allem darum ging, zwischen D's Wunsch nach einer Behandlung gegen die psychotischen Ängste und dem Wunsch nach Lebendigkeit zu vermitteln. Nachdem ein "herapeutischer Nachtausgang" gut verlief
und sie "stimmungsstabil" ohne psychotisches Erleben in die Klinik zurückkehrte, wurde D. wieder entlassen.
In die Zeit nach dem Psychiatrieaufenthalt, fallen folgende Träume:
6.Traum
Ich bin in einer wässrigen Landschaft. Dort soll ich nicht sein. Ein Pferd kommt und soll mich von hier wegbringen. Es wurde von jemanden geschickt, der findet, dass ich dort nicht sein soll. Ich halte mich von links am Hals fest. Zuerst etwas unsicher, dann kommt alles in Fluss - ich fühle mich gut! Ende.
7.Traum
Jemand sagt, dass Vater gestorben ist und ich bin froh. Ende.
8. Traum
Liege daheim auf einer Couch. Ich höre einen Mann, der kein Guter ist; bringt er im Nebenzimmer eine Frau um? Ich bin im Dämmerzustand und kann mich nicht bewegen. Er kommt herein, versperrt die Tür, drückt mir die Hand auf meine Kehle und ich schreie "Hilfe", niemand hört mich. Ich beiße ihn in den Finger bis er blutet; schmecke das Blut im Mund und es ekelt mir. Ende.
D. meinte zum 6.Traum, sie habe diesen Wandel vom Zögern mit dem Pferd mitzukommen und dem Festhalten am Pferd und dem einschießenden guten Gefühl so deutlich erlebt2.
Den Traum selbst fand sie "stark". Sie wisse nicht, wer ihr das Pferd geschickt habe aber sie wisse, dass es gut sei weg von dort an einen besseren Ort zu gelangen. Das Pferd erlebt sie als ein kräftiges Tier, das sie trägt. Bleibt man beim gegebenen "manifesten" Traum, dann ist es ein Jemand, der das Pferd schickt um D. aus der wässrigen Landschaft wegzuholen, weil sie dort nicht sein soll. Der Aufenthaltsort der Träumerin ist nicht näher bezeichnet, sie kennt ihn nicht. Die Träumerin ist aufgefordert mitzukommen, sie wird aber nicht gezwungen und entscheidet selbst. Sie selbst hält sich an der linken Seite des Pferdehalses. Ich merkte nur an, dass sie ja auch stark sei, wenn sie sich so am Pferd festzuhalten vermöge. Sie kann das Pferd, das geschickt wird und ihr frei, ohne Halfter, ohne Zaumzeug, begegnet, als Möglichkeit ergreifen, muss es nicht mehr wie früher eng am Halfter führen und
2 Dieser Zusammenhang zeigt sich bspw. an Bernhard Waldenfels' Denkentwicklung, der in seinem Vortrag "Hyperbolik der Gabe" vom 16. Juni 2016 an der Universität Wien vom Phänomen des Zögerns spricht, um auf die sich dabei eröffnenden Spielräume im Erschließen von Welt hinzuweisen. Gleichwohl zeigt sich in der "Gelassenheit" die sich in der therapeutischen Beziehung einstellen kann ein "Ja und Nein", welches viel Nähe erweist ohne einzuengen und gerade dadurch frei-gibt.
aufpassen nicht gebissen oder gestoßen zu werden. Anstatt geballte Pferdekraft in allzu großer Nähe gespannt und ängstlich auszustehen, wagt sie sich frei an das freie Pferd zu hängen um einer wässrigen Landschaft zu entkommen. Sie hängt sich an und entscheidet selbst, wann sie wieder loslässt und wie weit sie sich tragen lässt. Das teilte ich D. mit, dass sie selbst entscheidet mitzukommen, dass sie dem Schicker und dem Pferd Vertrauen entgegenbringt, eigenes Zögern frei zulässt, sich nicht bestimmen lässt und jederzeit wieder loslassen kann. In der Wachsituation sah D. diese Möglichkeit der eigenen Stärke und Entscheidungskraft noch nicht.
Traum 7 zeigt, dass sie für den Tod des Vaters offen ist, für die Möglichkeit ihn hinter sich zulassen. Es wird ihr der Tod des Vaters mitgeteilt und sie erlebt diesen nicht unmittelbar selbst. Die beim Erzählen ihr aufkommende Frage, ob sie in Zukunft aus seinem Schatten heraustreten könne, zeigt einerseits eine Befreiung vom strengen und dominanten Vater, dem sie sich mittlerweile auch im Wachen schon manchmal zu widersetzen wagt, auch da ist sie aufgewacht; aber gleichzeitig ist sie noch unsicher, ob ein toter Vater im Traum, dem man nicht mehr ausgeliefert sein muss und darüber froh sein kann auch schon heißt, aus seinem Einflussbereich, seinem Schatten, d.h. aus einer unmittelbaren beengen Nähe zu entkommen. Aus dem Schatten draußen könnte sie wohl auch vermehrt eigene Wege gehen und mehr eigenständige unvermittelte Bezüge auch zu Männern versuchen. Dann müssten vermutlich auch Schatten im Garten nicht mehr als böse Gestalten an-wesen. Die Möglichkeit eigenständige Bezüge anzugehen kann den jeweiligen Menschen in einer Weise stärken, dass er nicht mehr auf das Haltgebende in einer Halluzination zurückgreifen muss. Bei meiner Patientin nahm ich dieses zunehmende Gewahrwerden des eigenen Vermögens wahr. Diese Erkenntnis öffnet den Blick, dass sie überhaupt existiert und selbst etwas tun kann, d.h. handlungsfähig ist und für sich selbst Verantwortung trägt.
Lebensweltlich konnte sie in dieser Zeit beschließen, nicht mehr vom Vater zur Psychotherapie gebracht zu werden, sondern eigenständig mit der Schnellbahn anzureisen. Denn der Straßenverkehr bot dem Vater viele Gelegenheiten zum Ärgern und zu Wutausbrüchen, und darauf wollte sie nun verzichten. Früher hätte sie in einer solchen Situation gar keinen Ausweg gesehen und wäre dem Vater im Auto hilflos ausgeliefert gewesen. Eine Art situative Geworfenheit ohne Möglichkeit zum eigenen Entwurf. Mir jetzt eine derartig neue Entscheidung mitzuteilen und von der Umsetzung berichten zu können, stärkte sie sichtlich, aber sie wurde auch sehr traurig, wenn ihr dabei deutlich vor Augen kam, dass sie in vielem erst ganz am Anfang war und bemerkte: "Ich bin 45 und stehe blank da! Wo ist das Eigene?"
Von allen möglichen Begegnenden ist die Träumerin im 8.Traum eingeengt auf einen gewalttätigen Mann, der Frauen umbringt, zuerst im Nebenzimmer und dann kommt er in D's Zimmer, die sich zunächst nicht bewegen kann. Sie kann Männlichkeit ausschließlich als überwältigend und ungut, erstickend und vernichtend erleben und sich selbst sieht sie zunächst als wehrloses dahindämmerndes Opfer. Doch plötzlich, als es dann tatsächlich um ihr eigenes Leben geht und ihr die Kehle abgedrückt wird, beginnt sie sich zu regen und schreit um Hilfe. Der Hilferuf bleibt unbeantwortet. Dann beißt sie der Hand des Mannes in den Finger. Das geht ihr so nahe, dass ihr vor dem Blut im Mund ekelt. Anstatt weiter zu dämmern und sich umbringen zu lassen, wehrt sie sich und beim Aufwachen kamen ihr dann noch andere Verhaltensweisen des Wehrens in den Sinn, dass sie außer ihrem Gebiss auch noch andere Möglichkeiten hätte, ihm z.B. eine reinzuhauen. Ich sprach D. auf den Dämmerzustand an und sie meinte, dass sie diesen Zustand auch im Wachen kenne, aber sie werde schon angriffslustiger und es gefalle ihr, dass sie sich im Traum wehrte.
In der Therapie hatte D. schon längst erkannt, dass die Atmosphäre ihrer Familie ihre Lebensumstände von Grund auf eingeengt hatte; dass die Therapie eine entscheidende Befreiungsmöglichkeit für sie bedeutete, war ihr ebenfalls aufgegangen. Sie schätze meine begleitende Zurückhaltung und fühlte sich selbst kreativ angesprochen und angeregt, ohne sich durch meine Bemerkungen und Fragen kritisiert oder bestimmt zu fühlen. Von Wichtigkeit erschien mir, dass sich D. erfolgreich gegen Bequemlichkeiten und eingeschliffene Gewohnheiten und Abhängigkeiten zu wehren und zu befreien begann. Sie wollte sich im Grunde selbst ändern und nicht mehr darauf bauen, dass sich ihre Umgebung änderte. Sie begann Verantwortung für ihr Ek-sistieren zu übernehmen und das zeitigte erste Änderungen im Alltag. Schließlich fand D. auch Möglichkeiten diese ersten Errungenschaften in ihrer Bedeutung besser zu erfassen und wahrzunehmen, indem sie bspw. begann das laut auszusprechen, was sie stimmungsmäßig zu ahnen und leibhaftig zu vernehmen begann, wie: "das freut mich jetzt!"
Sie bemerkte, wie gut ihr die Couchlage tat. Auch so frei sprechen zu könne und sich nicht abgelehnt zu fühlen, wenn sie Peinlichkeiten äußerte, war für sie sehr angenehm. Wie in eine Pflanze tropfe es in sie hinein. Sie wolle zusehen, dass sie nur noch das zu sich nehme, was ihr schmecke, auch in ihren Begegnungen. In Hermann Hesses Buch "Allem Anfang wohnt ein Zauber inne" (Hesse, 2016) fand sie weitere Anstöße, ihrer eigenen Natur zu folgen, vielleicht das einzige, dem man folgen solle. Es zeigte sich, dass sie in den Sitzungen am ehesten ihre Natur rauslassen
konnte, gelegentlich gelinge ihr das auch daheim mit ihrem Kater, aber nicht immer, weil sie sich oft nach ihm richten müsse. Er erlebe sie wohl am ehesten echt, wie sie wirklich sei. Ihr falle auf, dass sich ihre Wahrnehmung stark mit ihrer Befindlichkeit ändere, so habe sich am Vortag eine andere Qualität in der Beziehung zum Kater gezeigt als in den Monaten zuvor, wo sie oft gereizt war. Nun nehme sie die Zartheit seines Körpers erstmals so richtig wahr. Sie könne ihn behutsam berühren, weil sie selbst offensinnig sei für erlösende Gefühle. Sie frage sich, ob sie das überhaupt schon einmal so erlebt habe? Wie Wasser an ihren Wurzeln spüre sich das an, das Wachsen. In dieser Zeit beginnt D. mir von einem Mädchen zu erzählen, das sich über mehrere Sitzungen erstrecken wird.
Das Mädchen in der Höhle
Ein Mädchen komme ihr in den Sinn. Es flüchtet in eine Hinterwelt, bis in den letzten Winkel. Dem Mädchen sind Maßregelungen nicht angenehm. Es könne es zumindest bis zur Hälfte vor die Höhle wagen, vor der Höhle ist es angenehm warm, hell, ein freundlicher Boden, sandfarben, es müsse die Höhle nicht verlassen, die Richtung hinaus könne bleiben, ans Licht zu kommen. D. meint ein Sehnen müsse noch zum Mädchen kommen, damit es einen Grund habe hinauszugehen. Ein Bedürfnis. Das könne es noch nicht erkennen, weil es noch sehr mit der Höhle vertraut sei. Sie sehe den Therapeuten vor der Höhle sitzen mit einem Becher Wasser in der Hand. Er reiche ihr das Wasser nicht in die Höhle, das Mädchen müsste hinauskommen. Nichts Grobes, nichts Drängendes gehe vom Therapeuten aus, die Entscheidung liege beim Mädchen. Dem Mädchen sei der Therapeut nicht neu, im Gespräch, freundlich gestimmt, sonst sei niemand anwesend, der Platz sei geschützt, es rege sich etwas in ihr, es berühre sie, sie habe Angst ins Freie zu gehen.
D. sehe im Mädchen das fühlende Ich, das fühlende Herz. Die Höhle sei immer kleiner geworden und sie sei hinausgedrängt worden, jetzt sei sie draußen, Angst, sie könne fast nicht atmen. Sie als Erwachsene, die Vernunft, komme dazu. Die erwachsene Frau habe das Mädchen aufgenommen und sorge jetzt für sie. „Ich höre auf mein Fühlen", habe sie am Vortag gedacht. Sie höre Musik, die ihr Herz gerne höre, sie nehme die Umgebung mit anderen Augen wahr und plötzlich sehe sie ihre Heimatstadt, nicht nur an ihr vorbeiziehen, sie gefalle ihr. Es schwappe an sie heran, ohne sie zu überfluten; das fühlende Ich sei eingeklemmt gewesen, habe noch nicht den Raum um Luft zu kriegen. Ihr komme ein Platzschaffen in den Sinn, damit das zurückweichen könne, was die Enge mache. Das Fühlende könne es wegschieben. Die Höhle, wo beide wohnen, liege am Meer. Zwischen Höhle und Meer sei Strand,
sonst nichts. Es sei angenehm vor der Höhle, Bewegung, ruhiges Meer, Wellen, die heranschwappen - das Leben komme heran, angenehmes Licht. Sehe nur
Wasser in sanfter Bewegung. Sie stehe mit dem Rücken zur äußeren Höhlenwand, eine Zweiheit und vielleicht gibt es einmal eine Einheit. Der Verstand kümmere sich um das Herz.
"Ich als Erwachsene, wie ich mich gut um mich selbst kümmere".
Wir bewegten uns beim Erzählen dieser Geschichte, die sich über mehrere Sitzungen ausspannte, in einer gemeinsamen Welt. Zunächst sprach sie vom Mädchen in der dritten Person, dann sprach sie selbst, wenn sie ergriffen wurden und ohne alle Einzelheiten minutiös klären zu müssen, war ich als ihr Therapeut mit dabei. Getrenntes kam zusammen und das erlebte D. als sehr wohltuend. Ganz unbekümmert erzählte sie ihrer Nichte am Telefon vom
"Mädchen am Meer". Als auch ihre Eltern davon erfuhren, machte sich Panik breit und als sie von ihrer Mutter sorgenvoll nach Ihrem Befinden gefragt wurde, lief sie heiß und brüllte ins Telefon, dass sie dieses Mal nicht bei der Psychiatrie dabei sei und beschloss, dass sie sich ab jetzt der Familie gegenüber nicht weiter öffnen wollte. Den Dampf abzulassen, habe ihr gut getan und sie konnte sich behauptet, es gehe ihr gut. Sie lasse sich nicht mehr maßregeln, das habe keinen Platz mehr. Der Platz in und vor Höhle habe gut getan, dann sei sie angegriffen worden, sie habe sich verteidigt, aber es habe auch verletzt, getroffen und gestört. Aber sie sei in Verbindung mit sich, mit ihrem Herzen. Sie vernehme ein Piepern ihres Herzens und frage sich, welches Gefühl das sei: Angst, Scheu vor einem Berührt werden -ein ungewohntes Terrain - dass sie sich in Gegenwart von jemand anderen zeige, herauswage, das kleine Mädchen stehe am Höhleneingang.
Bisher von der Macht der Familie überzeugt, musste sie feststellen, dass selbst bei einer schönen Erzählung von einem Mädchen am Meer die Familie in Panik gerät und eine psychotische Krise vermutet. Sie ließ diesmal aber keinen Zweifel daran, dass sie nicht psychotisch sei und auch keinen stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik benötigte. Daran wurde nicht gerüttelt. Von diesem starken Gefühl der Entschlossenheit getragen, schilderte sie folgenden Traum.
9.Traum
Ich schimpfe mit dem Vater, werde wehrhaft, esse am Tisch eine Suppe, will sie fertig essen, Mutter diskutiert auch mit, sie verstehen mich nicht. Ich schreie meinen Vater an, dass er gerade reden muss, er nimmt mich am Arm und führt mich hinaus, ich kratze ihn und schreie: "Du bist gemeint!". Ende D. bestätigte im Wachen, dass sie zuletzt ähnlich aufgebracht gewesen sei wie im Traum. Und auch
im Traum habe sie keine Angst, sie lasse sich nicht mehr klein machen. Sie finde Vaters Verhalten im Traum wie im Wachen unerhört.
Im Träumen wie im Wachen vermochte sie sich besser zu behaupten und gegen den Vater durchzusetzen. D. gewann mehr Freiraum und konnte Eigenes ohne Angst zulassen. Von einem Traum, der ihr Heraustreten aus dem Schatten des Vaters zeigt und den bisher versperrten Zugang zum Männlichen öffnet, und sie mit einem Orgasmus munter werden lässt, hatte ich im Juni 2015 berichtet (Strobl, 2015b). Ab dem Sommer 2015 folgten in der Analyse Stunden, in denen sie bestätigte, was sie im Traum bereits als Orgasmus vernehmen und genießen konnte. Es war für sie eine angenehme Überraschung und so als sei ein Bann abgekratzt worden. Vor langer Zeit geriet ihre Sexualität in Verbannung und nun tauche sie im positiven Sinne wieder auf. Auch das darüber sprechen in der Analyse fiel ihr schon leichter. Auch der Umgang mit Schlangen erfuhr eine Wandlung. Über eine leibhaftige Begegnung mit einer Schlange am Weg durch ein Waldstück, das sie wöchentlich durchschritt um das nächstgelege Einkaufzentrum zu erreichen, habe ich in meinem Vortrag in Athen im September 2015 berichtet (Strobl, 2015b) Nach einem Zögern entschloss sie sich doch weiterhin den ihr so beliebten und im Grunde einzig möglichen Weg weiterhin zu nehmen und darauf zu vertrauen, nicht jedes Mal einer den Weg kreuzenden Schlange zu begegnen. Einige Monate später, Ende 2015, brachte sie in die Analyse spontan folgenden neuen Zugang, nachdem sie sich wieder einmal vergewisserte, ob denn wirklich alle Fantasien gewünscht und geäußert werden dürften und ich das zustimmend begrüßte:
Annäherung an die Schlange
Wenn ich mir vorstelle, dass ich eine Schlange bin, würde ich mich auf Ihrem Schoß einschlängeln und dort entspannt liegen; ich denke es ist ein guter Platz. Sie wären auch entspannt und würden mit ihrer rechten Hand die Schlangenhaut streicheln und mit der linken Hand die Schlange unterfangen und den Schlangenbauch streicheln. Diese Qualität der Entspannung, die sie als Schlange auf meinem Schoß erleben konnte, wollte sie auch gerne auf der Couch in der Analyse haben. Ich ermutigte sie sich weiterhin einzulassen und sie berichtete in dieser Zeit folgenden Traum:
10.Traum
Sie küssen mich. Sie sind klar und wissen, was Sie wollen. Ich selbst bin etwas unsicher, einerseits in Sorge, dass ich Mundgeruch haben, andererseits fühle ich mich sehr wohl und angenommen und werde gerne geküsst. Ich kann den Kuss
aber nicht entsprechend erwidern, traue mich nicht richtig und habe Hemmungen. Dann drücken Sie mit einem Finger gegen eine verkrampfte Stelle an meinem Hals. Es schmerzt und das sage ich auch. Sie lassen nicht locker, es tut weh und kitzelt zugleich. Plötzlich löst sich die Verkrampfung am Hals und es wird warm und leicht. Das ist sehr angenehm. Sie legen Ihre Hand auf mein Dekollete und berühren mein Herz und ich denke, dass das etwas über der Grenze sei. Ende.
D. meint, dass der Traum ihr zeige, dass es bei ihr noch etwas zu entwickeln gäbe, was das Überzeugt-sein angehe. Es könne ihr gefallen, generell im Leben, nicht nur beim Küssen, diese Überzeugung zu erlangen etwas entschlossen zu tun. Das fehle ihr noch und gefallen ihr, beeindrucke sie im Traum und beim Nachdenken. (früher träumte sie noch von einem Mann, der ihr die Kehle zudrückte und sie umbringen wollte)
Zum Finger auf den Punkt drücken falle ihr ein "einen Finger in eine Wunde legen" es sei ihr nicht angenehm und auch hier im Wachen in den Stunden sei nicht immer alles angenehm. Aber dann löse sich die Verhärtung - vieles löse sich auch beim Verlautbaren in den Analysestunden, was nicht immer leicht, oft auch schmerzhaft sei. Und dann erlebe sie eine Befreiung. Die Berührung am Dekollete, am Herzen, das sei eine Stelle an der sie gerne berührt werde, an der sie es auch genießen könne, wenn sich ihr Kater dort anschmiege. Zum Kuss meinte sie, dass sie ihn einerseits angenehm erlebe, andererseits aber auch gehemmt sei, ihn zu erwidern. Sie sei unsicher wie es angemessen sei, das trübe das Ganze. Auch die Frage, ob sie Mundgeruch habe, sei störend und sie bemerke im Traum, dass sie in dieser Qualität zu küssen nicht mitkönne. Das sei schade. Zu mir, ihrem Therapeuten, fühle sie sich wie im Wachen zugewandt. Mundgeruch im Traum, Peinlichkeiten beim Aussprechen kommen ihr in den Sinn. Aber es werde auch schon lockerer, indem sie sich selbst stelle, werde sie lockerer, fühle sich wohler und sie bemerke, dass es einiges bringe, auch Schwieriges auszusprechen. Dann löse sich etwas und sie sei nicht mehr so peinlich berührt.
V. RÜCKBLICK UND AUSBLICK
D. hat sich im Laufe der Therapie nicht nur aus der Enge ihrer Eltern, insbesondere in der Beziehung zu ihrem Vater, sondern von eigenen Verpflichtungen und Schuldgefühlen, die sie in Konflikte brachte, dabei eigene Wege verpasste, zu befreien begonnen.
Die ihr gewährte Zeit und Begleitung, die Konflikte durchzustehen, führten zu mehr Autonomie und Sicherheit in ihrer Persönlichkeit. Das zeigt auch, dass
seit Dezember 2013 kein weiterer psychiatrischer Aufenthalt notwendig wurde und derzeit auch nichts darauf hinweist.
Anfang 2001 und in der ersten Phase noch sehr unsicher, war sie mit der Entwicklung in der dritten Therapiephase von Anfang an bereit, sich selbst zu entdecken, konnte immer freier Tag und Nacht trauen und Fantasien zulassen ohne mittlerweile von diesen angstvoll überwältigt zu werden.
Ich hörte ihr genau zu, ließ sie gelten, was sie schätzte und dass ich ihr zeigte, dass ich keine Angst vor abstrusen Gedankengängen hatte, machte sie sicher und mutig, so dass sie mehr und mehr Vertrauen fassen konnte. Damit lernte sie auch, offener zu ihren Ansichten und zu ihrer Lebensführung zu stehen, ihre ängstliche Neigung, es allen recht machen zu wollen, zu überwinden. Im Laufe der Behandlung ist sie auch in lebenspraktischen Entscheidungen sicherer geworden, wohingegen sie zu Beginn noch nicht einmal regelmäßig zum Einkaufen und Essenmachen in der Lage war.
Ende dieses Monats kommt ihr Sohn zu Besuch und er wird zum ersten Mal seit seinem "Auszug" und dem Aufwachsen bei seinem Vater, in ihrer Wohnung übernachten. Sie freu sich schon und sei auch etwas aufgeregt, wie denn das wohl werden könne...
Derzeit lese sie David Steindl Rasts Buch "Fülle und Nichts" (Steindl-Rast, 2015) und sei beim vorletzten Kapitel "Liebe: Ein 'Ja' zur Zugehörigkeit". Vor diesem Kapitel sei sie noch unsicher, weil es bei der Zugehörigkeit ja um Andere gehe und am liebsten sei sie doch mit sich alleine. Aber sie könne es ja versuchen.
REFERENCES
Heidegger, M. (2014). Gelassenheit. Freiburg/München: Alber.
Helting, H. (1999). Einführung in die philosophischen Dimensionen der psychotherapeutischen
Daseinsanalyse. Aachen: Shaker. Hesse, H. (2016). Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Lebensstufen. Frankfurt a. Main: Suhrkamp. Steindl-Rast, D. (2015). Fülle und Nichts. Von Innen her zum Leben erwachen. Freiburg: Kreuz. Strobl, R. (2015 a). Orte des Glücks - Unterwegs zum eigenen Horizont. Unveröffentlichter Vortrag. Strobl, R. (2015 b). There's no Healing Without Love. Unveröffentlichter Vortrag.