Die institutionelle Entwicklung der europäischen Bankenaufsicht
Section 6. Finance, money circulation and credit
Straßberger Mario, Prof. Dr. rer. pol. Hochschule Zittau/Görlitz Professur für Finanzwirtschaft und Finanzdienstleistungen
E-mail: m.strassberger@hszg.de Sysoyeva Larysa, Ph. D., Ukrainische Bankakademie der Nationalbank der Ukraine, Lehrstuhl für Bankwesen E-mail: larysa.sysoyeva@gmail.com
Die institutionelle Entwicklung der europäischen Bankenaufsicht
Zusammenfassung: In Reaktion auf die negativen Auswirkungen der Finanzkrise auf die Stabilität des Bankensektors ist die Architektur der Bankenaufsicht in Europa grundlegend verändert worden. Die Europäische Zentralbank hat Aufgaben in der Bankenaufsicht übernommen. Dadurch entstehen aber Interessenkonflikte mit ihren geldpolitischen Aufgaben. Sie müsste kontrolliert werden und könnte so ihre Unabhängigkeit verlieren.
Stichwörter: Unabhängigkeit der Zentralbank, Bankenaufsicht, Finanzmarkt.
Einleitung
Die noch anhaltende Finanzmarkt- und Bankenkrise hat seit 2007 gezeigt, dass solche Krisenerscheinungen in der Lage sind, das Funktionieren marktwirtschaftlicher sowie demokratischer Systeme in ihrer Gesamtheit erheblich zu beeinflussen. Aber auch abseits von Krisenszenarien haben die Finanzmärkte und das Bankensystem einen signifikanten Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand einer Volkswirtschaft [1, 81-83] — was wiederum auch auf die politischen Prozesse ausstrahlt. Umgekehrt werden die Akteure auf den Finanzmärkten und in den Finanzinstituten auch maßgeblich von den relevanten politischen Rahmenbedingungen beeinflusst, sind möglicherweise „political institutions [..] the most important determinants of financial institutions“ [2, 288]
Die wechselseitigen Zusammenhänge sind durchaus komplex, im Allgemeinen am meisten befürchtet werden Verletzungen der Prinzipien des Gläubigerschutzes und des Systemschutzes durch Banken und andere institutionelle Finanzmarktteilnehmer. Folgerichtig stellen genau diese potenziellen Gefahren die bedeutendsten Motive für die weitreichende Beaufsichtigung und Regu-
lierung von Banken dar [3, 27]. Die Erreichung dieser Ziele wiederum ist davon abhängig, wie die bankaufsichtlichen Regeln sowie die für ihre Anwendung und Durchsetzung verantwortlichen Organisationen durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber gestaltet werden. Die Frage der adäquaten institutionellen Ausgestaltung der europäischen Bankenaufsicht hat aktuell durch die Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen nationalen und europäischen Institutionen eine neue Dynamik erhalten. Der Beitrag konzentriert sich daher auf die institutionelle Entwicklung der Bankenaufsicht in Europa.
Europäische Bankenaufsicht
Das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte und die Stabilität des europäischen Bankensystems werden auch künftig entscheidend von der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie daneben existierender (europäischer und nationaler) Bankaufsichtsbehörden abhängen. Die Unabhängigkeit der Zentralbank wird allgemein als Garant für die Stabilität einer Währung angesehen.
In der Diskussion zur Gewährleistung und Erhaltung einer politisch wie ökonomisch unabhängigen Zentralbank und Bankenaufsicht wird unterschieden in: Zielunabhängigkeit, Instrumentenunabhän-
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gigkeit, Finanzielle Unabhängigkeit und Personelle Unabhängigkeit [4, 151]. In dieser mehrfachen Hinsicht ist die Unabhängigkeit der EZB durch die Weisungsfreiheit von jeglichen staatlichen Institutionen, durch das Verbot der Staatsfinanzierung (inklusive des Verbots des Kaufs staatlicher Schuldtitel) und durch die eigenverantwortliche Wahl ihrer Strategien und Maßnahmen gesichert. Es bleibt zu hinterfragen, ob die neuen institutionellen Strukturen der europäischen Bankenaufsicht die Ziele und Entwicklungen der Regulierung sowie der Geldpolitik beeinflussen.
Im Weiteren gehen wir den folgenden Hypothesen nach.
1. Die Unabhängigkeit der EZB wird sehr stark durch ihre Beteiligung an der Bankenaufsicht beeinflusst.
2. Die Unabhängigkeit der EZB als Institution der Bankenaufsicht ist sehr begrenzt.
Fest steht inzwischen, dass die EZB durch ihre operative Aufsichtstätigkeit zügig Informationen über die Solvenz von (zuvorderst systemrelevanten, aber auch anderen) Banken erhält, die sonst nur einer zuständigen nationalen Behörde zur Verfügung stehen [5, 412-427]. Wenn die EZB die Liquidität der Banken gleichzeitig durch verschiedene Instrumente, wie etwa die Emergency Liquidity Assistance (ELA), stützen kann, entstehen Interessenkonflikte im Bereich der Regulierung, aber auch im Bereich der Geldpolitik. Zum einen kann das Moral Hazard-Problem dazu führen, dass etwa aufsichtliche Maßnahmen nicht in der nötigen Konsequenz durchgesetzt oder Banken in der Liquiditätsversorgung unterschiedlich behandelt werden [6, 285-315]. Zum zweiten kann eine massive Liquiditätsbereitstellung über die Ausweitung der Geldmenge wiederum auch geldpolitischen Zielen entgegen stehen.
Das Beispiel der Regulierung von Banken vor der Finanzkrise hat gezeigt, dass Instabilitäten im Bankensystem nicht grundsätzlich verhindert werden können. Der Staat kam im Zuge der Krise nicht umhin, unter massivem Einsatz finanzieller Mittel einzugreifen, um das System zu stabilisieren. Es ist zu erwarten, dass dies auch in Zukunft nicht auszuschließen sein wird. Der Staat greift also, falls nötig, in die Belange der EZB als Institution der Bankaufsicht ein. Ihre Unabhängigkeit in diesem Bereich ist damit faktisch schon beschränkt. Außerdem wird
wohl das Handeln der EZB in der Regulierung von Banken ihre Reputation als Ganzes beeinflussen und damit auch auf ihr Ansehen in geldpolitischen Fragen ausstrahlen.
Im Folgenden wollen wir einige der neuen Kernelemente der europäischen institutionellen Struktur der Bankenaufsicht kritisch diskutieren. Seit 1. Januar 2015 wird die Bankenrestrukturierung durch eine EU-weite Vorschrift zur Bankenabwicklung (Bank Recovery and Resolution Directive — BRRD) ergänzt [7, 337]. Gemäß BRRD sind alle Banken und anderen Kreditinstitute in den 28 EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, intern Maßnahmen zur Krisenprävention festzulegen und Sanierungspläne aufzustellen. In Deutschland hat die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) die Funktion einer Abwicklungsbehörde für Banken übernommen. Bankenaufsicht und Bankenabwicklung lagen bis 2014 in der jeweiligen nationalen Verantwortung der Mitgliedsstaaten der europäischen Währungsunion. Island und Irland zum Beispiel hat die Rettung ihrer Großbanken während der Finanzmarkt- und Bankenkrise überfordert. Die neue institutionelle Struktur der europäischen Bankenunion soll derartige Probleme in Zukunft verhindern helfen. Für die Bankenunion sind drei Säulen vorgesehen: eine gemeinsame Bankenaufsicht (Single Supervisory Mechanism, SSM), eine gemeinsame Bankenabwicklung (Single Resolution Mechanism, SRM) sowie gemeinsame Standards für die Einlagensicherung. Alle drei Säulen verbindet ein gemeinsames Regelwerk (Single Rule Book).
All das bedeutet, dass die EZB im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus die oberste Bankenaufsichtsbehörde für alle Banken in SSM-Mitgliedstaaten ist. Ihre Verantwortung untergliedert sich aber in zwei verschiedene Aufsichten — eine direkte und eine indirekte. Im Rahmen der direkten Aufsicht ist die EZB für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Beurteilungsprozess verantwortlich. Bei der indirekten Aufsicht beschränkt sich die Rolle der EZB darauf, dass die zuständigen nationalen Behörden den Anforderungen des SSM gerecht werden und eine kohärente Durchführung der Aufsicht gewährleisten [8, 16]. Ob die EZB unter diesen Bedingungen ihre Funktion der obersten Bankenaufsicht überhaupt vollumfänglich erfüllen
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kann, wird sich in Zukunft erweisen müssen.
Gemäß Lissabon-Vertag ist die vorrangige Zielsetzung der Zentralbank die Gewährleistung von Preisstabilität. Ihr können aber auch besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute übertragen werden [9]. In dieser Doppelfunktion ist die Gefahr von Interessenkonflikten zwischen der Geldpolitik der EZB und ihren Aufgaben in der Bankenaufsicht, wie sie oben herausgearbeitet wurden, bereits angelegt. Aufgrund der Governance-Struktur der EZB gibt es keine vollständige Trennung zwischen beiden Bereichen. Der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums ist gleichzeitig Mitglied des Direktoriums der EZB. Somit entscheidet ein führender Vertreter der Bankenaufsicht im EZB-Rat über die Geldpolitik. Die EZB müsste zur Vermeidung von Moral Hazard ihrerseits einem Monitoring unterliegen, was letztlich aber natürlich ihre Unabhängigkeit in Frage stellt.
Laut Lissabon-Vertrag ist die EZB bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in der Bankenaufsicht unabhängig. Neben der EZB als oberste Bankenaufsichtsbehörde bleiben weiterhin die nationalen Aufsichtsbehörden bestehen. Aktuell gibt es in 10 von den 18 Mitgliedsländern der Eurozone nationale Bankenaufsichtsbehörden [10, 39-49]. Daraus ergibt sich nicht nur die Frage, wie eng die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden in der mikroprudentiellen Bankenaufsicht und der Überwachung des laufenden Geschäftsbetriebes zusam-
menarbeiten sollen. Es entsteht vor allem auch die Frage, in wieweit die politische Unabhängigkeit der EZB in der Bankenaufsicht gewahrt bleibt, denn die nationalen Aufsichtsbehörden sind regelmäßig Regierungsbehörden unterstellt. In Deutschland etwa unterliegt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) der Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. Man wird also auch hier und nicht nur bei der makroprudentiellen Aufsicht auf gemeinsame europäische Regeln zur Sicherstellung der Unabhängigkeit nicht verzichten können.
Fazit
Die Unabhängigkeit der EZB nicht nur in ihrer Geldpolitik, sondern auch in der Bankenaufsicht, ist für die politische und ökonomische Stabilität der EU wie auch für die Stabilität des Bankensystems von eminenter Bedeutung. Die EZB ist in der gegenwärtigen Architektur des europäischen Aufsichtsmechanismus allerdings Ziel- und Interessenkonflikten ausgesetzt, wenn sie ihre geldpolitischen Entscheidungen mit ihren Aufgaben in der Bankenaufsicht vereinbaren will. Zur Beobachtung dieser Konflikte müsste die EZB kontrolliert werden, was aber ihre Unabhängigkeit beschränkte. Institutionell muss daher eine strikte Trennung von geldpolitischen und bankaufsichtlichen Aufgaben der EZB sichergestellt werden. In der Bankenaufsicht müssen auf europäischer Ebene unmissverständliche Regeln zur Wahrung der Unabhängigkeit der EZB anerkannt werden.
Referencez:
1. Demirgü5-Kunt A., R. Levine. Bank-Based and Market-Based Financial Systems: Cross - Country Comparisons, in: A. Demirgü^-Kunt, R. Levine (Hrsg.). Financial Structure and Economic Growth - A Cross-Country Comparison of Banks, Markets, and Development, 2001.
2. North D. C., Shirley M. M.. Conclusion: Economics, Political Institutions, and Financial Markets, in: S. Haber, D. C. North, B. M. Weingast (Hrsg.). Political Institutions and Financial Development, 2008.
3. Benston G.J. Regulating Financial Markets: A Critique and some Proposals, London, 1998.
4. Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Geld und Geldpolitik, Frankfurt am Main, 2014.
5. Pellegrina L. Dalla, Masciandaro Donata, Pansini Rosario Vega. The central banker as prudential supervisor: Does independence matter?, in: Journal of Financial Stability, No. 9, 2013.
6. Masciandaro D. Divide et Impera: Financial supervision unification and the central bank fragmentation effect, in: European Journal of Political Economy, Vol. 32, No.2, 2007.
7. Hartmann-Wendels T., Pfingsten A., Weber M. Bankbetriebslehre, 6. Auflage, Berlin, 2014.
8. Pascal di Prima. Wider die Bankenaufsicht, in: Die Bank, Nr. 7, 2015.
9. Artikel 127, Absatz 6 des Vertrages von Lissabon, http://www.europarl.europa.eu/aboutparlia-ment/de/20150201PVL00008/Der-Vertrag-von-Lissabon.
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10. Europäische Zentralbank (Hrsg.), Jahresabschluss 2014, http://www.bundesbank.de/Redakti-
on/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/EZB_Jahresberichte/2014_jahresabschluss.pdf?______
blob=publicationFile.
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